Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
angeschaut wurde. Lange vor Johns Ankunft dort war die Antenne abgerissen und dazu benutzt worden, jemandem die Augen aus-
    zustechen, und der Empfang war beschissen. Auch wenn der Schnee einmal nicht ganz so dicht war und man das Bild wenigstens einigermaßen sehen konnte, bekam man bei den Autos auf dem Bildschirm kein Gefühl für Größe. Und man fragte sich auch, ob das, was man sah, echt war oder nur für diesen speziellen Film so inszeniert wurde. Vielleicht ging es bei der Serie ja um eine alternative Welt, in der Frauen Röcke trugen, die gerade mal über die Möse reichten, und Männer sich nicht zu fein waren, in engen Lederhosen herumzulaufen und Sachen zu sagen wie: »Mein Vater hat mich nie verstanden.«
    Die Jungs lachten über so was immer und riefen »Tunte« und »Schwuchtel« in Richtung des Fernsehers, so dass die nächsten Sätze des Schauspielers nicht zu verstehen waren.
    John schaute nicht viel fern.
    »Yo, yo«, sagte Ray-Ray und bückte sich, um mit einem Schwamm Silikon auf die Reifen des Suburban zu reiben. Als John den Kopf hob, sah er einen Streifenwagen auf die Einfahrt der Autowaschanlage einbiegen. Ray-Ray wiederholte ständig alles, daher auch sein Name, und er warnte John immer, wenn ein Bulle in der Nähe war. John tat das Gleiche für ihn. Die beiden Männer hatten nie wirklich miteinander geredet, geschweige denn ihre Lebensgeschichten ausgetauscht, aber beide wussten schon vom ersten Augenblick an, was der andere war: ein Exknacki.
    John wischte nun das Fenster in der Fahrertür, ließ sich damit aber Zeit, damit er den Bullen im Spiegelbild beobachten konnte. Zuerst hörte er den Polizeifunk des Mannes, das beständige statische Rauschen der Diensthabenden in der Einsatzzentrale, die in ihrem privaten Code sprachen. Der Beamte schaute sich um, identifizierte in weniger als zwei Sekunden John und Ray-Ray als Knackis, zog dann seinen Gürtel hoch und ging ins Büro, um für die Autowäsche zu bezahlen. Natürlich würden sie von ihm nichts verlangen, aber es war immer gut, so zu tun als ob.
    Die Besitzerin des Suburban stand in der Nähe und telefonierte mit ihrem Handy. John schloss beim Fensterwischen die Augen, lauschte der Stimme und genoss den Tonfall wie ein kostbares Musikstück. Im Knast hatte er ganz vergessen, wie es war, eine Frauenstimme zu hören, den Klagen zu lauschen, die nur Frauen äußern können. Schlechter Haarschnitt. Unhöfliche Verkäufer. Abgebrochene Fingernägel. Männer wollten über Sachen reden: Autos, Waffen, Mösen. Über ihre Gefühle redeten sie nicht, außer es ging um Wut,
    und auch das dauerte nicht lange, weil sie normalerweise ziemlich schnell etwas dagegen unternahmen.
    Alle zwei Wochen war seine Mutter aus Decatur nach Garden City gefahren, um ihn zu besuchen, doch so froh John auch war, sie zu sehen, war es nicht die Art von Frauenstimme, die John hören wollte. Emily war immer positiv eingestellt, erfreut, ihren Sohn zu sehen, auch wenn er ihren Augen ansah, dass sie müde war von der langen Fahrt oder traurig, weil er sich noch ein Tattoo hatte stechen lassen oder seine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Tante Lydia kam ebenfalls, aber nur, weil sie seine Anwältin war. Joyce tauchte zweimal pro Jahr mit ihrer Mutter auf, an Weihnachten und an seinem Geburtstag. Sie hasste es, dort zu sein. Man konnte es förmlich riechen.
    Joyce wollte fast noch mehr wieder raus als John selbst, und wenn sie mit ihm redete, musste er immer an die Art denken, wie die schwarzen Gangs und die Aryans miteinander sprachen. Du verfickte Niggersau. Du arschgesichtiger weißer Hurenbock. Ich bring dich um, sobald ich die Chance habe.
    Sein Vater besuchte ihn zweimal in der ganzen Zeit, die er einsaß, und daran wollte John lieber nicht denken.
    »Entschuldigung?« Die Frau mit dem Handy stand neben ihm. Er konnte ihr Parfüm riechen. Ihre Oberlippe war eine kleine Smokingfliege, Lipgloss ließ ihren Mund feucht schimmern.
    »Hallo«, sagte sie halb lachend.
    »Entschuldigung«, brachte John gerade so heraus, denn er war entsetzt, dass sie so nahe hatte an ihn herankommen können, ohne dass er es bemerkte. Im Gefängnis wäre er jetzt schon tot.
    »Ich sagte >Vielen Dank<.« Sie hielt ihm einen Dollar hin, und er nahm ihn und kam sich dabei zugleich billig und schmierig vor.
    So auffällig wie möglich steckte John den Schein in die gemeinsame Trinkgeldkasse, weil er wusste, dass alle Augen in dem Laden auf ihn gerichtet waren. Er tat dasselbe, wenn

Weitere Kostenlose Bücher