Will Trent 02 - Entsetzen
war. Sie entschuldigte sich. Sie gab ihre Schuld freimütig zu, bot ihnen alles an, was sie hatte, und sie war mehr als bereit, es auch zu geben. Abigail war selbst Anwältin gewesen und wusste sehr genau, was sie tat. Zwei Wochen später lag zwischen all dem Unsinn, den Fremde Fremden nach einer Katastrophe schreiben, ein Umschlag mit einer Karte darin. Es stand kein Absender darauf, nur der Poststempel wies auf eine ländliche Kleinstadt in Oregon hin. Auf der Innenseite der Karte standen nur zwei Sätze: Vielen Dank für Ihren Brief. Wir beten, dass wir alle die Kraft zum Weitermachen finden.
Es wirkte wie eine völlig banale Aussage, etwas, das Jay Gatsby sagen würde, der Schlusssatz am Ende eines Kriegsfilms in Schwarz-Weiß: Weiter so, Kamerad! Weiter bis zur Freiheit!
Zwei Monate später ging das Leben um sie herum weiter, aber unter der Oberfläche lauerte noch immer diese Bedrohung, als würden sie alle erwarten, dass dieses Leben ihnen genommen würde. Und wie viel sie zu verlieren hatten! Das neue Haus in Druid Hills war spektakulär, noch größer als das in Ansley Park. Es gab acht Schlafzimmer und neun Bäder. Es gab ein Büro, eine Sauna, einen Weinkeller, einen Kinoraum, ein Kaminzimmer und einen Vorraum für verdreckte Schuhe, Kleider und dergleichen. Die umgebaute Remise bot zwei komplette Bäder und zwei zusätzliche Schlafzimmer. Als Abigail durch diese Wohnung über der Garage ging, bemerkte sie nur trocken, dass sie und Paul hier wenigstens mehr Platz hatten, um einander aus dem Weg zu gehen.
Er lachte nicht über ihre Bemerkung.
Sie kaufte Möbel, bestellte Bettwäsche und gab so viel Geld online aus, dass die Kreditkartengesellschaften anriefen, um sich zu versichern, dass man Abigails Identität nicht gestohlen hatte. Alle anderen schienen wieder in die Normalität zurückzukehren oder in das, was Abigail als »neue Normalität« bezeichnete. Beatrice war wieder in Italien. Hoyt war zu seiner Geliebten zurückgekehrt. Seine Frau lebte sicher und wohl versorgt in ihrem Haus in Puerto Rico. Abigail vermutete, dass es noch irgendwo eine andere Geliebte gab, denn ihr Vater hatte in letzter Zeit viel über London gesprochen.
Auch die Presse hatte sich endlich anderen Themen zugewandt. Das People-Magazin und die TV-Produzenten waren sehr früh ausgestiegen, als klar wurde, dass die Familie Campano nicht den Wunsch hatte, ihre Geschichte mit der Welt zu teilen. Es gab die erforderlichen, selbsternannten Freunde, die aus ihren Löchern gekrochen kamen, um über Emma zu reden, und die Exfreunde, die über Abigail und Paul redeten. Schlimmer waren die Sensationsblätter. Sie standen vor dem Tor am Ende der Auffahrt und schrien jeden an, der das Haus verließ. »Hey, Mörderin«, riefen sie, wenn sie Abigail entdeckten. »Mörderin, wie ist es, wenn man weiß, dass man jemanden umgebracht hat?«
Abigail bemühte sich um ein neutrales Gesicht, wandte den Geiern den Rücken zu, sooft es nur ging, verschwand im Haus und brach in Tränen aus. An einem Tag schimpften sie sie kalt, am nächsten lobten sie sie als wilde Bärenmutter, die ihre Jungen beschützte. Man fragte sie, was sie von Evan Bernard hielt, dem Mann, der all dieses Elend über ihre Schwelle gebracht hatte.
Sooft Evan Bernard den Mund aufmachte, war ein Nachrichtenteam zur Stelle und berichtete live aus dem Gefängnis, in dem er festgehalten wurde. Wenn die Berichterstattung nachließ, meldete er sich mit Erklärungen, gab überraschende Gefängnisinterviews und präsentierte exklusive Dokumente aus seiner problematischen Vergangenheit. Dann hatten die Analysten ihren großen Tag, Experte um Experte sezierte jede Nuance von Bernards Leben: Wann er den falschen Weg eingeschlagen hatte, wie vielen Kindern er in seiner Karriere geholfen hatte. Frauen meldeten sich, so viele junge Frauen. Sie alle behaupteten beharrlich, dass er trotz der CDs, trotz der Video-Beweise unschuldig sei. Der Evan Bernard, den sie kannten, wäre ein netter, ein sanfter Mann gewesen. Abigail juckte es in den Fingern, mit dem Mistkerl allein zu sein, ihm die Hände um seinen netten, sanften Hals zu legen und zuzusehen, wie sein armseliges Leben aus seinen schwarzen Knopfaugen schwand.
Sich all das anhören zu müssen war unerträglich, und Abigail und Paul hatten sich angewöhnt, alle Nachrichtensendungen auszuschalten und die Talkshows auszulassen, weil sie nicht noch mehr zu Bernards Berühmtheit beitragen wollten. Sie taten das sowieso, sobald Emma ins Zimmer
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