Will Trent 02 - Entsetzen
Millionen Meilen weit weg.
Jahrelang hatte Abigail sich Sorgen gemacht, dass Emma so würde wie ihre Mutter. Jetzt machte sie sich Sorgen, dass aus ihr nichts Rechtes mehr würde.
Wie hatte ihnen das passieren können? Wie konnten sie jetzt überleben? Paul wollte nicht mehr darüber reden. Er stand einfach auf und ging zur Arbeit. Er fuhr Emma zu ihrem Termin. Er telefonierte, um ihr gemeinsames Leben in Gang zu halten. Sie schliefen häufiger miteinander, aber es war eher zweckgerichtet als sonst irgendetwas. Als ihr auffiel, dass es ein Muster gab, da Paul offensichtlich nur am Mittwoch und am Samstag an ihr interessiert war, fühlte sie sich eher erleichtert als beleidigt. Sie kreuzte die Tage in ihrem Kalender an. Es war etwas, worauf sie sich vorbereiten konnte, etwas, von dem sie wusste, dass es passieren würde.
Abigail merkte, dass sie nach mehr Mustern und Strukturen in ihrem Leben suchte, nach mehr Dingen, auf die sie sich verlassen konnte. Wegen der Therapie war Emma an den Donnerstagen ziemlich gereizt, deshalb fing Abigail an, ihr zum Frühstück Pfannkuchen zu braten. An Freitagen wirkte sie traurig, also wurde ein Filmeabend eingerichtet. Die Dienstage waren am schlimmsten. Alle schlechten Sachen passierten an einem Dienstag. Keiner von ihnen redete viel an diesen Tagen. Das Haus war still. Die Stereoanlage in Emmas Zimmer wurde nicht eingeschaltet. Der Fernseher lief leise. Der Hund bellte nicht. Das Telefon klingelte nur selten.
Das war also die neue Normalität - die kleinen Tricks, die sie alle lernten, um mit dem, was ihnen passiert war, zurechtzukommen. Abigail vermutete, dass es gar nicht so weit entfernt war davon, wie es zuvor gewesen war. Sie traf sich mit Innenausstattern, gab Geld aus für Sachen für ihr neues Zuhause. Paul hatte noch immer seine Geheimnisse, doch nun ging es nicht mehr um eine andere Frau. Emma belog sie noch immer, wohin sie tagsüber ging, auch wenn sie nie das Haus verließ. »Mir geht's gut«, sagte sie oft, auch wenn sie nur Sekunden zuvor noch Millionen Meilen entfernt gewesen war. Sie glaubten ihr einfach, weil die Wahrheit mehr wehtat als eine Lüge.
So machte sich Abigail also daran, allmählich mit ihrem Leben wieder zurechtzukommen. Die Tage wurden inzwischen kürzer, und sie wusste, dass sie nicht ewig so weitermachen konnten. Irgendwann einmal würde sich etwas ändern müssen, aber im Augenblick war der Status quo das Einzige, was sie alle weitermachen ließ. Sie vermutete, dass Adams Eltern letztendlich doch recht hatten.
Manchmal konnte man nichts anderes tun, als um die Kraft zum Weitermachen zu beten.
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