Will Trent 02 - Entsetzen
nachgedacht.«
Das hörte er schon am Ton ihrer Stimme. »Sie meinen, über den Prozess?«
»Nein. Über ihre Motivation.« Faith schwieg wieder, aber nun schien sie ihre Gedanken zu sammeln. »Kein Mensch mochte Kayla - bis auf Emma. Ihre Eltern waren beschissen. Alle in der Schule hassten sie.«
»Nach den Aussagen ignorierte man sie aus einem ganz bestimmten Grund.«
»Aber Bernard ist ein so manipulativer Schweinehund, dass es schwer zu sagen ist, ob sie nur um des Kicks wegen mitgemacht hatte oder weil Bernard ihr gesagt hatte, sie solle es tun.«
Will wollte nicht akzeptieren, dass ein siebzehnjähriges Mädchen in der Lage war, so sadistisch zu sein. Sicher wusste er nur, dass sie, da Warren nun tot war und Bernard allen die Schuld gab außer sich selbst, die ganze Wahrheit nie herausfinden würden. »Ich bezweifle, ob Kayla den Unterschied überhaupt kannte.«
»Mary Clark kennt ihn noch immer nicht.«
Er dachte an die arme Frau, den Schaden, den man in ihrer Psyche angerichtet hatte. Oberflächlich betrachtet lebte Mary ein gutes Leben: solide ausgebildet, verheiratet, zwei Kinder, Lehrerin an einer Eliteschule. Und doch bedeutete das alles gar nichts wegen etwas, das ihr vor mehr als zehn Jahren passiert war. Genauso hatte er über Emma am Anfang dieses Falls gedacht: Alles, was sie überlebte, würde sie dazu bringen, an jedem Tag ihres Lebens sterben zu wollen. Wenn es dem GBI und der Polizei von Atlanta und jeder anderen Polizeieinheit in Amerika wirklich ein Anliegen wäre, das Verbrechen zu stoppen, dann müsste man das ganze Geld, das in Gefängnisse und Gerichte und Heimatschutz gesteckt wurde, nehmen und jeden Penny davon für den Schutz von Kindern vor diesen Mistkerlen ausgeben, die es auf sie abgesehen hatten. Will konnte fast garantieren, dass sich diese Investition in geretteten Menschenleben auszahlen würde.
»Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte Faith. »Ich treffe mich mit Victor Martinez zum Mittagessen, und ich trage noch immer dieselben Sachen, in denen Sie mich zum letzten Mal gesehen haben.«
»Der Typ vom Tech?«
»Mal sehen, wie lange ich brauche, um die Sache zu vermasseln.«
»Ich kann Ihnen ein paar Tipps geben.«
»Ich glaube, so was schaffe ich ganz gut allein.« Er hörte, dass sie dabei war aufzulegen, und stoppte sie. »Faith?«
»Ja?«
Er versuchte, ein paar große Worte zu machen, sie in seinem Leben willkommen zu heißen, ihr zu versichern, dass er alles tue, was nötig sei, um die Sache glattlaufen zu lassen. »Bis in einer Woche dann.«
»Okay.«
Will legte auf, und plötzlich fielen ihm eine Million bessere Dinge ein, die er hätte sagen können, angefangen damit, dass er froh sei um ihre Entscheidung, und abgeschlossen mit seiner Bitte, sie möge ihm allen vergangenen und zukünftigen Unfug verzeihen. Er lag im Bett, die Augen zur Decke gerichtet, und ging ihr Telefongespräch noch einmal durch. Will erkannte, dass er genau wusste, warum sie das Angebot angenommen hatte. Sie waren im Copyshop und hörten, wie Evan Bernard, Kayla Alexander und Warren Grier Emma Campanos Entführung planten. Beide waren sie völlig kirre vor Erschöpfung, und ihr törichtes Grinsen musste Charlie Reed argwöhnisch gemacht haben, aber der Mann hatte den Mund gehalten.
In einer Hinsicht hatte sie recht: So schlimm, wie die letzten Tage auch gewesen waren, Evan Bernard zu überführen war all diese Mühen wert gewesen. Sie hatten Emma Campano nach Hause zurückgebracht. Warren Grier hatte sich selbst gerichtet, aber seine Hinterlassenschaft war wertvoll gewesen. Kayla Alexander war Gerechtigkeit widerfahren, gleichgültig, wie tief sie in das Verbrechen verstrickt gewesen war. In diesen Lösungen lag eine gewisse Befriedigung, eine gewisse Bestätigung, dass das, was man da draußen machte, wirklich von Bedeutung war.
Und doch fragte sich Will, ob Faith wusste, dass ihr Vater in einem anderen Bundesstaat ein Bankkonto mit über zwanzigtausend Dollar hatte. Will hatte sich bereits zwei Wochen mit Evelyn Mitchells Fall beschäftigt, bevor er daran dachte, nach Konten unter dem Namen ihres toten Mannes zu suchen. Das Sparkonto war mindestens zwanzig Jahre alt, und der Stand hatte im Lauf der Jahre geschwankt, war aber nie unter fünftausend Dollar gefallen. Die letzte Abhebung hatte drei Jahre zuvor stattgefunden, deshalb war es schwer herauszufinden gewesen, wofür das Geld ausgegeben worden war. Evelyn Mitchell war Polizistin. Sie war nicht so dumm, Quittungen aufzuheben.
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