Will & Will
/ wenn dort die Wildkits singen, bricht mir das Herz entzwei …«
»Mannomann«, sage ich, »du bist ja der geborene Sänger. Du klingst wie Pavarotti.«
»Nur dass Gary ein Bariton ist«, sagt Jane. Ihre Musikbesessenheit erstreckt sich offensichtlich auch auf die Oper.
Tiny schnippt aufgeregt mit den Fingern und zeigt auf Gary. »Du! Du! Du! Du bist Kaleb! Glückwunsch!«
»Du willst, dass ich die fiktionale Ausgabe meines eigenen Ex-Freundes spiele?«, fragt Gary. »Nein danke!«
»Dann Phil Wrayson! Ist mir egal. Such dir eine Rolle aus. Mein Gott, du singst besser als alle anderen zusammen.«
»Ja!«, sage ich. »Ich nehm dich.«
»Aber dann muss ich ein Mädchen küssen«, sagt er. »Wie eklig.« Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mein Alter Ego im Stück irgendwelche Mädchen küsst, und will gerade Tiny danach fragen, aber er lässt mich nicht zu Wort kommen und sagt nur: »Ich hab’s noch mal überarbeitet.« Tiny umschmeichelt Gary noch ein bisschen und schließlich stimmt er zu und will Phil Wrayson spielen, und ganz ehrlich, ich bin froh drüber.
Als wir alle rausgehen, in Richtung Cafeteria, dreht sich Gary zu mir um, legt den Kopf schief und mustert mich.
»Wie fühlt es sich eigentlich an, Will Grayson zu sein? Ich muss das unbedingt wissen, ich brauch die Innenperspektive, weißt du.« Er lacht, scheint aber tatsächlich auf eine Antwort zu warten. Ich dachte bis vor Kurzem immer, Will Grayson zu sein würde einfach bedeuten, ich zu sein. Offensichtlich stimmt das nicht. Der andere Will Grayson ist auch Will Grayson, und jetzt will Gary sich auch noch in mich verwandeln.
»Maul halten und nix an sich ranlassen«, sage ich.
»Was für große Worte.« Gary grinst. »Ich glaube, ich werde den Phil Wrayson mit denselben Eigenschaften wie einen Felsblock am Ufer ausstatten: in sich ruhend, schweigsam und – wenn man bedenkt, wie wenig er sich bewegt – erstaunlich wohlgeformt.«
Alle lachen bis auf Tiny, der gerade wieder eine SMS schreibt. Am Ende des Flurs sehe ich Ethan an die Vitrine mit den Wildkit-Pokalen gelehnt dastehen, seinen Rucksack über der Schulter. Ich geh zu ihm und sage: »Nicht schlecht heute«, und er sagt: »Hoffentlich bin ich nicht zu sexy, um dich zu spielen.« Er grinst. Ich grinse zurück, obwohl er es auch ein klein wenig ernst gemeint hat. »Dann sehen wir uns am Freitag bei Clint?«, fragt er.
»Ja, vielleicht«, sage ich. Er schiebt sich den Rucksack auf die Schulter, nickt mir zu und trollt sich. Ein paar Schritte hinter mir höre ich Tiny in dramatischem Tonfall betteln: »Bitte sagt mir, dass das alles gut wird!«
»Alles wird gut«, sagt Jane. »Auch mittelmäßige Schauspieler können ganz groß rauskommen.«
Tiny holt tief Luft, schüttelt sich dann einen Gedanken aus dem Kopf und sagt: »Du hast recht. Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile. Fünfundfünfzig Leute haben für
mein Stück vorgesungen! Meine Haare sehen heute super aus! Ich habe eine Zwei für meinen Englisch-Aufsatz bekommen!« Sein Handy zwitschert. »Und da trudelt gerade wieder eine SMS von meinem neuen Lieblingswillgrayson ein. Du hast recht, Jane. Es wird schon alles!«
zwölf
es fängt an, als ich von chicago nach hause komme. da hab ich bereits siebenundzwanzig sms von tiny auf meinem handy. und er hat siebenundzwanzig von mir. was mich schon mal den größten teil der zugfahrt gut beschäftigt hat.
den rest der zeit hab ich drüber nachgedacht, wie ich mich verhalten soll, wenn ich zu hause zur tür reinkomme. die tatsache der nicht-existenz von isaac ist für mich nämlich so niederschmetternd, dass ich mich von allen möglichen anderen dingen befreien muss, die mir auf der seele lasten. sonst würde ich darunter völlig begraben werden. es ist mir inzwischen alles scheißegal. vorher ist mir auch schon alles scheißegal gewesen, aber das war eine anfänger-scheißegalhaltung. das hier ist jetzt eine nichts-kann-mich-mehr-erschüttern-scheißegal-haltung.
mom wartet in der küche auf mich, trinkt tee, blättert in einer dieser stumpfsinnigen reiche-promis-zeigen-ihre-häuserzeitschriften. als ich reinkomme, blickt sie hoch.
mom: wie war’s in chicago?
ich: hör zu, mom, ich bin schwul, und du würdest mir einen großen gefallen tun, wenn du das mit dem ausflippen jetzt schnell hinter dich bringst, weil, na ja, wir müssen beide für den rest unseres lebens damit zurechtkommen, aber je früher wir die lähmende phase abschließen können, desto
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