Will & Will
schlimmster Schrecken ein Schulflur war. »Bitte, Grayson. DAS BRINGT MICH UM.«
Mir wird bewusst, dass zum ersten Mal in meinem Leben Tiny und Jane mir nachlaufen, nicht umgekehrt.
Tiny beschließt, mich jetzt ebenfalls zu ignorieren, und erzählt Jane, er hoffe, eines Tages so viele SMS von Will Grayson bekommen zu haben, dass er sie als Buch herausbringen kann. Die SMS von Will Grayson seien nämlich die reinste Poesie.
Da kann ich nicht anders und platze heraus: »Wo es früher hieß: ›Soll ich dich einem Sommertag vergleichen‹, sagt man heute: ›Du bist so heiß.‹«
»Er spricht wieder!«, ruft Tiny und legt den Arm um mich. »Ich wusste, du würdest es dir anders überlegen! Ich bin so
überglücklich, dass ich Gil Wrayson umbenennen werde! Er wird jetzt unter dem Namen Phil Wrayson auftreten! Phil Wrayson, der sich erst mit den warmen Strahlen von Tinys Sonne er füll en muss, um zu seinem wahren Selbst zu finden. Passt perfekt.«
Ich nicke. Alle werden natürlich immer noch glauben, dass es sich dabei um mich handelt, aber immerhin … er tut wenigstens so, als würde er auf meinen Wunsch eingehen.
»Oh, eine neue SMS!« Tiny zieht sein Handy raus, liest den Text, seufzt laut und startet mit seiner fleischigen Hand den Versuch, eine Antwort zu tippen. Während er seinen Daumen wandern lässt, sage ich: »Aber ich darf entscheiden, wer ihn spielen soll.«
Tiny nickt geistesabwesend.
»Tiny, ich darf entscheiden, wer ihn spielen soll«, sage ich noch einmal.
Er schaut auf. »Was? Nein nein nein. Ich bin der Regisseur. Ich bin der Autor Produzent Regisseur Assistent Kostümbildner und Castingagent.«
Jane sagt: »Ich hab gesehen, wie du genickt hast, Tiny. Du hast schon zugestimmt.« Da lacht er nur, und dann sind wir an meinem Schließfach und Jane zieht mich am Ärmel von Tiny weg und sagt leise zu mir: »Solche Sachen darfst du nicht sagen.«
»Wenn ich was sage, ist’s nicht richtig, wenn ich nichts sage, auch nicht«, sage ich lächelnd.
»Ich mein ja nur, Grayson, also ich – du darfst solche Sachen nicht sagen.«
»Was für Sachen?«
»Mit süßen Mädchen und so.«
»Und warum nicht?«, frage ich.
»Weil ich immer noch dabei bin, mehr über die Beziehung zwischen Wasserpolo und Epiphanie herauszufinden.« Sie versucht ein schmales, kleines Lächeln.
»Gehst du mit mir zum Casting für Tiny Dancer ?«, frage ich. Tiny ist immer noch mit seinem Daumen beschäftigt.
»Grayson, ich kann nicht… ich meine, ich bin so gut wie vergeben, kapierst du das nicht?«
»Das ist kein Date. Es handelt sich um eine außerlehrplanmäßige schulische Aktivität. Wir sitzen zusammen hinten im Zuschauerraum und lachen uns über die Jungs tot, die vorsprechen, weil sie Phil Wrayson spielen wollen.«
Ich habe Tinys Stück letzten Sommer gelesen und weiß nicht, was er seither alles noch verändert hat, aber soweit ich mich erinnere, gibt es darin ungefähr sieben wichtige Rollen: Tiny, seine Mutter (die ein Duett mit Tiny singt), Phil Wrayson, Tinys jugendliche Liebhaber Kaleb und Barry und dann noch ein fiktives heterosexuelles Pärchen, das Tiny im Glauben an sich selbst bestärkt oder was auch immer. Außerdem gibt es einen Chor. Alles in allem braucht Tiny für sein Stück etwa dreißig Leute. Ich bin mir sicher, dass nicht mehr als zwölf zum Vorsprechen antanzen werden.
Aber als ich nach Chemie in den Theatersaal komme, lungern dort schon mindestens fünfzig Leute auf der Bühne und in den ersten Sitzreihen herum und warten darauf, dass das Vorsprechen beginnt. Gary läuft durch die Gänge und verteilt Zettel mit handgeschriebenen Nummern drauf, die sich die Kandidaten anheften. Und weil es sich um lauter Theatergruppenleute handelt, quasseln sie alle. Wirklich alle. Gleichzeitig.
Sie wollen nicht gehört werden, sie müssen nur unbedingt quasseln.
Ich setze mich auf einen Platz in der hintersten Reihe, einen Sitz vom Gang entfernt, so dass Jane direkt am Gang sitzen kann. Sie taucht kurz nach mir auf und setzt sich neben mich, würdigt die Szenerie einen Augenblick und sagt dann: »Irgendwo da vorn, Grayson, ist einer, der dir in die Seele schauen muss, um dich richtig spielen zu können.«
Ich will gerade was antworten, als der Schatten von Tiny auf uns fällt. Er geht neben uns in die Hocke und reicht jedem von uns ein Klemmbrett. »Bitte schreibt zu allen, die sich eurer Meinung nach für die Rolle von Phil eignen, einen kurzen Kommentar. Außerdem überlege ich, ob ich nicht
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