Wille zur Macht
drei nahmen an einem Tisch Platz und bestellten Bier. Von allen Seiten schlugen ihnen Wortfetzen der unterschiedlichsten Sprachen entgegen. Hauptsächlich europäische Sprachen: Deutsche, Skandinavier, Engländer, Franzosen, aber auch eine Gruppe amerikanischer Aktivisten unterhielten sich hier.
Als die Bedienung die Bierflaschen auf den Tisch stellte, versuchte sie den dreien etwas auf Spanisch zu erklären, was sie aber nicht verstanden. Von einem anderen Tisch kam die Übersetzung. Ein großer, blonder Skandinavier erklärte ihnen, dass ab 18.00 Uhr kein Bier mehr ausgeschenkt werden dürfe. Wegen des morgigen Nationalfeiertags. Warum das so wäre, konnte er nicht genau erklären. Er mutmaßte, dass man entweder verhindern wollte, dass alle Nicas morgen zu besoffen sein könnten, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen, oder die Regierung verhindern wollte, dass gerade am Nationalfeiertag ein Engpass beim Bierverkauf entstehen könnte. Dunker schaute auf seine Uhr. Es war kurz nach fünf. Allzu viele Biere könnten sie sich nicht einverleiben. Aber vom Nebentisch kam sogleich die rettende Botschaft: Nach nicaraguanischem Recht könne alles, was um sechs Uhr auf dem Tisch steht, noch ausgetrunken werden. Also brauchte man nur kurz vorher noch eine entsprechend große Menge zu ordern. Lediglich die Hitze würde dem kalten Bier auf Dauer nicht bekommen.
So beruhigt stießen die drei an. Schwitzwasser perlte in großen Tropfen die Flaschen hinunter, und nach der nächsten Runde hatte sich schon ein kleiner See auf dem wackeligen Tisch gebildet.
Es war halb sechs geworden, als sich plötzlich der Himmel verdunkelte. Innerhalb kürzester Zeit war alles grau geworden, die Sonne verschwunden, und mit einem Mal ergossen sich enorme Wassermassen aus den Wolken auf die Straße. Unmengen dicker Tropfen prasselten auf das Wellblechdach der Terrasse. So laut, dass man sich kaum noch unterhalten konnte. Genau über ihrem Tisch hatte das Dach ein Leck, und so rückten sie mit Tisch und Stühlen an eine andere Stelle. Von oben blieb es jetzt zwar trocken, aber unter ihnen weichte der lehmige Boden auf. Auf der Straße waren wahre Bäche entstanden. Jetzt erklärte sich auch, warum die Bordsteine vor den Gehwegen so hoch waren. Sie verhinderten das Überschwappen der Wassermassen in die Häuser.
Dunker war froh, jetzt einigermaßen geschützt im Sarah’s zu sitzen. Es war immer noch sehr warm und er stellte fest, dass es ein überaus beruhigendes Gefühl war, von hier aus den dicken Regentropfen zuzuschauen. Nach einer halben Stunde war alles vorbei. Wie jeden Tag im Sommer in Managua. Der Regen kam gegen sechs, heftig und massig, und hörte dann schlagartig wieder auf. Und wenige Zeit später war durch die wiedererschienene Sonne schon so viel Wasser verdunstet, dass man glauben konnte, es hätte nie geregnet. Fast hätten die drei vergessen, noch schnell mehrere Flaschen Bier zu bestellen. Die Sperrzeit stand bevor. Aber die Bestellungen an den anderen Tischen erinnerten sie rechtzeitig an das nahende Ende der Ausschankzeit.
Zwei Stunden später waren sie dann wieder zurück in ihrem Haus. Gerade rechtzeitig, denn Renate wollte sich just mit den anderen Brigadisten auf den Weg zur „Barricada“ machen. Die Barricada war eine Zeitung und das agitatorische Sprachrohr der sandinistischen Regierung. Sie erschien täglich und berichtete über die Errungenschaften der Revolution. Und die gab es unbestritten: kostenlose ärztliche Versorgung für jedermann, Bildungsmöglichkeiten für alle, eine Landreform, die kleinen Bauern endlich zu eigenem Boden verholfen hatte. Viele von ihnen hatten sich zu Kooperativen zusammengeschlossen und erhielten staatliche Hilfe, um große Maschinen gemeinsam kaufen zu können. Es gab Mindestlöhne für die Arbeiter, die ihnen einen menschengerechten Lebensstandard verschafften.
Auf der anderen Seite wurde aber auch viel über die immer noch anhaltenden Kämpfe der Regierung mit den von den USA finanzierten Contras berichtet. Gerade in den schwer zugänglichen Grenzgebieten zu Honduras und Costa Rica verübten sie Überfälle auf die dortigen Dörfer und Kooperativen und massakrierten die Bevölkerung. Ihr Ziel war es, hauptsächlich Lehrer, Ärzte, Ingenieure und Techniker zu töten, die der Bevölkerung beim Aufbau eines neuen Wirtschaftssystems halfen. Genau in ein solches Grenzdorf sollte die weitere Reise der Brigadisten gehen.
Das Photographieren war auch in den Räumen der Barricada
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