Willenlos
überlagert. Kein Polizist konnte nach der Ermordung eines Kollegen die üblicherweise vorhandene und notwendige Neutralität für sich beanspruchen. Im Grunde genommen waren alle in der Festung befangen. Aber was war mit ihnen? Welcher Polizist konnte nach der Ermordung eines Kollegen von sich behaupten, unbefangen zu sein? Plötzlich wurde ihm der Grund für Bornmeiers Erscheinen deutlich. Karin sprach seinen Gedanken aus.
»Herr Bornmeier, wollen Sie damit andeuten, dass wir die Kollegen kontrollieren, ihre Arbeit anzweifeln sollen?«
»Kontrollieren, anzweifeln … so würde ich es nicht nennen. Ich drücke es mal so aus: Ich würde mir gern ein zweites Gutachten einholen. Ich möchte, dass Sie die Ermittlungsakten durchsehen und mit dem Verdächtigen reden. Ich weiß, was ich von Ihnen verlange. Aber es muss sein.«
Joshua rieb sich die Schläfen. In Krefeld waren sie stinksauer gewesen, wenn das LKA kam und ihnen reinreden wollte. Sie fühlten sich gegängelt, kontrolliert. Nun wurde von ihnen dasselbe verlangt. Nicht nur das – es ging um die Ermordung eines Kollegen. Einem mutmaßlichen Täter, den sie möglicherweise entlasten würden. Alle in der Festung, von der Putzfrau bis zum Präsidenten, waren froh, den Täter gefasst zu haben. Es kam ihm vor, als hätte der Staatsanwalt die Hand an seinem Magen und zog sie langsam zusammen.
»Wissen die Kollegen im KK 11 davon?«, wollte Karin wissen.
»Selbstverständlich.«
Karin wusste, dass es genügen würde, ihren Blick auf Bornmeier gerichtet zu lassen.
»Die Freude war verhalten«, schob der Staatsanwalt hinterher.
»Versetzen Sie sich bitte in meine Lage. Sein Verteidiger wird fragen, wer die Ermittlungen führte. Können Sie sich vorstellen, was es für den Richter bedeutet, wenn ich ihm antworten muss: Die Ermittlungen wurden von den engsten Mitarbeitern des Opfers geleitet?«
»Das fällt Ihnen aber früh ein«, Joshua biss sich auf die Lippen. Ihm war klar, was es für das KK 11 bedeutete, den Mord an ihrem Kollegen aufzuklären. Er wollte sich entschuldigen, als Bornmeier ihn überraschte.
»Ich hätte Ihnen die Leitung des Falles von Anfang an übertragen müssen. Mein Fehler, tut mir leid.«
3
Joshuas Blick glitt die alten Backsteinmauern des Polizeipräsidiums hoch. Es kam ihm vor, als würden sie aus jedem einzelnen Fenster beobachtet. Die Nachricht hatte sich schnell verbreitet. Auf dem Weg über die kahlen Flure des Gebäudes grüßte man sie verhalten oder sah weg. Ein älterer Kollege murmelte im Vorübergehen: »Da kommt die Stasi.« Joshua fuhr herum, wollte zurückgehen. Karin zog ihn am Arm weiter.
Elmar Seifert zwang sich zu einem gepressten »Morgen«, deutete stumm auf zwei Stühle. Mit beiden Händen nahm er ein paar Akten vom Schreibtisch und ließ den Stapel zwischen Karin und Joshua auf den Tisch fallen.
»Bitte. Der Fall Hornbach.«
»Um eines klarzustellen, Herr Seifert«, Karins Stimme war eindringlich, »wir sind weder zu unserem Vergnügen hier noch wollten wir diesen Fall.«
Seifert verzog keine Miene, nickte nur leicht.
»Elmar, ganz ehrlich, was hältst du von Hornbach?«
Joshua konnte sich nicht vorstellen, dass sein Kollege selbst in dieser Situation Objektivität vermissen ließ. Seifert lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Wenn ich mich nur auf die Verhöre stützen müsste, kämen mir Zweifel. Der Kerl würde sich schon die Hosen vollmachen, wenn wir ihn beim Falschparken erwischen.«
»Was habt ihr?«
»Genug. Das Messer mit dem Blut von Dahlmann hat die KT in seinem Wagen gefunden. Eine Zeugin hat Hornbach beobachtet, als er mit dem Messer in der Hand in seinen Wagen stieg. Am Tatort wimmelte es nur so von seinen Fußspuren. Fünf Minuten später tankte er seelenruhig in Meerbusch. Wir haben heute Morgen das Video der Tanke reinbekommen. Eindeutig Hornbach. Der Haftrichter hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, bevor er U-Haft anordnete.«
»Was sagt Hornbach dazu?«
»Er behauptet, noch nie in seinem Leben in Meerbusch gewesen zu sein. Das Bild der Überwachungskamera kennt er noch nicht. Mal sehen, ob er einbricht, wenn er es sieht.«
Joshua spürte Erleichterung. Bornmeier wollte Sicherheit. Nach Seiferts Aussage dürften sie diese schnell liefern können. Wenn nicht dieser kleine Rest Zweifel wäre. Joshua konnte nicht über seinen Schatten springen, den Fall abwinken. Er musste sicher sein.
»Was glauben Sie, warum Hornbach Dahlmann getötet hat?«,
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