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Willenlos

Willenlos

Titel: Willenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erwin Kohl
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nehmen wir ihn in die Mangel. Wenn es Leon nicht war, war es sein Bruder.«
    »Was nutzt uns das?«
    Joshua sprang hoch, lief unruhig auf und ab.
    »Uns fehlen die Beweise. Bei seinem Bruder hatten wir zumindest noch ein nachweisbares Motiv. Sei doch mal ehrlich, was haben wir denn? Zeugen, die ihn in der Nähe der Tatorte gesehen haben, meinetwegen auch in Begleitung der Opfer. Na und? Ist das verboten? Vielleicht noch fehlende Alibis für die Tatzeiten. Das reicht nicht, Karin, das zerpflückt uns jeder mittelmäßige Anwalt. Sollten wir in diesem Haus«, Joshuas Arm schnellte hoch, deutete auf das kleine, weiß gestrichene Häuschen im Hintergrund, »nichts finden, können wir einpacken. Hornbach, Thalbach und List bekommen dann lebenslänglich.«
    Karin betrachtete ihn stumm. Sie bewunderte immer an ihm, dass er niemals aufgab. Nun schien er dicht davor. Drei Männer, die unschuldig im Gefängnis saßen, fraßen seine Hoffnung Stück für Stück wie ausgehungerte Ratten.
    »Ich frage mich manchmal, warum ich diesen Job mache.«
    »Weil du sonst kein Hobby mehr hättest.«
    Joshua benötigte einige Sekunden, dann entspannten sich die Gesichtszüge zu einem angedeuteten Lächeln.
    Mehrere Fahrzeuge bogen auf die Einfahrt. Türen flogen auf, da Vinci lief auf Joshua zu, gefolgt von einem untersetzten vollbärtigen Mann in der Uniform eines Schlüsseldienstes.
    »Was ist los mit dir, wirst du alt«, witzelte da Vinci in Joshuas Richtung, »kriegst doch sonst jede Tür auf?«
    »Die nicht.«
    Joshua dachte darüber nach, welche Angst Ulrich Bartram haben musste. Hatte ihn diese Angst um sein Leben dazu getrieben, drei Menschen zu ermorden, um seinen Widersacher für immer eingesperrt zu wissen? Den Ermittler beschäftigte vor allem eines. Was hatte Leon Bartram gegen seinen Bruder in der Hand? Warum tötete Ulrich ihn nicht direkt, ohne diesen grausigen Umweg? Hinter seinem Rücken hörte er den Mann vom Schlüsseldienst fluchen.
     
    In sämtlichen Zimmern standen und lagen leere Flaschen herum. Die Raumluft war unerträglich, Karin öffnete die Fenster. Joshua nahm sich die Schrankwand im Wohnzimmer vor. Nachdem er die üblichen Unterlagen der unterschiedlichsten Versicherungen durchflogen hatte, wurde er in der obersten Schublade des mittleren Schrankteils fündig. Joshua rief Karin zu sich. Mit dem Schnellhefter in der Hand begaben sie sich an den alten Kacheltisch in der Mitte des Zimmers. Die ersten 30 Klarsichthüllen enthielten Zeitungsartikel, Berichte über jede einzelne Tat, die Trophäensammlung des Mörders, dachte Joshua. Der erste handgeschriebene Zettel trug die Überschrift ›Leon‹. Darunter waren zwei Spalten mit den Überschriften ›Datum‹ sowie ›Anwesenheit von – bis‹ betitelt. Darin waren Daten und Uhrzeiten chronologisch geordnet vermerkt. In einer weiteren Spalte befanden sich entsprechende Vermerke. Die Auflistung begann am 15. Mai 2007, der dazugehörige Vermerk lautete ›Entlassung‹.
    »Der hat seinen Bruder permanent observiert«, bemerkte Karin erstaunt, »blättere doch mal weiter. Ich kann mir schon denken, wo er sich gerade aufhält.«
    Joshua musste 15 Seiten umschlagen bis zum Ende der Auflistung. Der letzte Eintrag stammte aus der vorigen Woche. Im Textfeld befand sich ein Kreuz, gefolgt von dem Namen Danzer, in der Spalte Anwesenheit war ›9.15 -15.30 Uhr‹ vermerkt.
    »Ich glaube, das ist ein Volltreffer«, jubelte Karin.
    Es war das vorletzte Blatt, Joshua blätterte noch einmal um und erschrak. In Blockschrift und der Reihenfolge der Verbrechen nach standen die Namen Thalbach, Rieger, Hornbach, Dahlmann, List und Danzer untereinander. Sie waren durchgestrichen, hinter den Namen befand sich ein Haken. Am Ende der Liste, noch nicht durchgestrichen, standen die Namen Björn Dollinger, Bartrams Verteidiger, sowie der Name Gunther Trempe. Joshua wurde kreideweiß.
    »Was hat dein Vater damit zu tun?«, fragte Karin entsetzt, »sein Name tauchte nirgendwo auf.«
    Joshua brachte kein Wort heraus. Er fand nicht einmal den Ansatz einer Erklärung dafür. Fassungslos, mit starrem Blick, verließ er das Haus.
     
     

50
    Daniel, der bereitwillig im Büro die Stellung gehalten hatte, begrüßte sie mit dem Ausdruck eines Fotos, mit dem er herumwedelte. Im Vorübergehen riss Joshua es ihm aus der Hand. Er wusste sofort, um wen es sich handelte. Das Muttermal neben der Nase, das Gesicht fülliger, leicht aufgedunsen, die Augen eine Spur blasser und größer.

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