Willenlos
Sauer hielt Joshua einen Plastikbeutel vors Gesicht. Darin befand sich weißes Pulver.
»Koks?«
»Du enttäuschst mich. Das waren mal Pillen, wurden schön klein gebröselt. Dieses Pulver lässt sich wunderbar Getränken beimischen. Ist übrigens fast geschmacksneutral.«
»Dormicum!«
Da Vinci zauberte das nächste Beweisstück hervor, eine leere Medikamentenpackung.
»Haben wir in der Altpapiertonne gefunden, ziemlich weit unten. Rate mal, wessen Fingerabdrücke sich darauf befinden.«
»Ulrich Bartrams.«
»Das weiß ich nicht, aber sie sind identisch mit …«
»Geschenkt. Gute Arbeit, danke.«
»Damit dürften wir ihn kriegen.«
Karin zeigte einen Anflug von Euphorie. Joshua sah dafür noch keinen Grund.
»Wir haben immer noch nicht den geringsten Beweis für einen Mord, geschweige denn für drei.«
»Stimmt, aber die Ausgangslage hat sich deutlich verbessert«, sie boxte Joshua leicht in die Rippen, »nicht so pessimistisch, Kleiner.«
Kaum im Büro angekommen, wartete Daniel mit einer weiteren guten Nachricht auf.
»Wir haben Kundschaft.«
Joshua passte der Termin für die Teamsitzung überhaupt nicht. Liebend gern hätte er Ulrich Bartram sofort verhört. Sein Vater war vorläufig außer Gefahr. Das könnte sich ändern, sollten sie Ulrich Bartram die Morde nicht nachweisen können. Der Einsatz war erhöht worden, es ging nicht mehr allein um Fremde, die verurteilt werden konnten oder nicht, es ging um das Leben seines Vaters und des Rechtsanwaltes Dollinger.
Oskar Zimmer berichtete nach der Begrüßung durch Jack Holsten von ihrem Besuch in der JVA Hagen. Joshua kam es vor, als wolle ihm jemand aus der Zeitung vom Vortag vorlesen. Die Ereignisse hatten sich überschlagen, Informationen waren von einem Tag zum anderen nutzlos geworden. Er selbst hätte anfangen sollen, aber die Gedanken schwirrten wild durcheinander, er ließ es geschehen. Bruchstückhaft drangen Zimmers Ausführungen an sein Ohr.
»… Ulrich Bartram hat seinen Bruder zwölf Jahre lang im Knast besucht, regelmäßig an jedem ersten Mittwoch im Monat. Dann von einem Tag auf den anderen kam er nicht mehr. Niemand vom Personal hat dafür eine Erklärung.«
»An diesem Tag hat Leon Bartram erfahren, dass sein Bruder der Mörder seiner Frau war«, hörte Joshua sich sagen. Zimmer verstummte. Alle Augen waren auf Joshua gerichtet. Er zwang sich zur Konzentration.
»Irgendwann im Laufe der Jahre muss Leon Bartram es erfahren haben. Ich nehme an, sein Bruder hatte sich bei seinem letzten Besuch verraten.«
»Unklar ist allerdings, warum er seine Schwägerin hätte umbringen sollen«, ergänzte Karin, »er hatte höchst wahrscheinlich ein Verhältnis mit ihr.«
»Dass sie hätte beendet haben können«, übernahm Joshua wieder, »um bei dem verhassten Bruder zu bleiben.«
Joshua berichtete ausführlich von ihren Ermittlungen in Rheydt und Linning sowie den Ergebnissen der Hausdurchsuchung. Allgemeine Erleichterung breitete sich aus. Diese erlosch kurz, als Joshua den Namen seines Vaters erwähnte.
»Was hat dein Vater mit dem Fall zu tun?«, fragte Jack. Joshua hob die Schultern.
»Das werde ich heute noch herausbekommen.«
»Fangt schon mal mit dem Verhör an, ich muss meinen Vater sprechen.«
Sie waren bereits vor der Bürotür. Daniel, der die Klinke in der Hand hielt, drehte sich um. Er spürte, wie schwer es seinem Kollegen fiel, auf das Verhör zu verzichten.
»Auf keinen Fall, wir warten auf dich.«
»Okay, wir müssen die Gegenüberstellung wiederholen.«
»Ich kümmere mich um die Zeugen.«
51
Leon Bartram schwenkte das Weinglas. Der Blick auf die Straße sorgte für Zufriedenheit. Spielende Kinder auf dem Bürgersteig, der schrullige Opa aus dem Nachbarhaus putzte zum dritten Mal in dieser Woche den alten Benz, der Postbote wanderte fröhlich grüßend von Tür zu Tür. Es war das gewohnte Bild, nur die beiden Gestalten fehlten, man hatte sie abgezogen. Der Anruf vor wenigen Stunden, die Worte waren ihm wie Honig durch die Ohren geflossen.
›Sie haben Ulrich abgeholt.‹
So schnell hatte er nicht damit gerechnet. Die Freude darüber war nach ersten Überlegungen verflogen. Leon hatte alle möglichen Indizien, die die Polizei gegen seinen Bruder verwenden könnte, aufgelistet. Er versetzte sich in Ulrichs Lage. Wie würde er versuchen, den Hals aus der Schlinge zu ziehen? Was würde geschehen, wenn Ulrich alles abstreiten würde? Diese Option und das mangelnde Vertrauen
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