Willenlos
in die Justiz ließen ihn unruhig werden. Er durfte einfach nicht davonkommen, der Zeitpunkt war gekommen, zu zahlen. Sollte die Polizei nicht genügend Beweise haben, musste eben nachgeholfen werden. So wie damals, so wie sie es mit ihm gemacht hatten.
Leon versuchte, sich in die Lage seines Bruders zu versetzen. Immer tiefer durchsuchte er die Erinnerungen, bis ihm die gemeinsame Zeit an der Universität in den Sinn kam.
Es war die naheliegendste Möglichkeit für Ulrich, an Dormicum zu gelangen. Der Arzt schuldete ihm noch etwas. Den Strick hatte er selbst geknüpft, nun galt es, ihn um seinen Hals zu legen. Leon nahm das Telefonbuch, die Nummer hatte nirgendwo auftauchen dürfen, nicht einmal unterstreichen hatte er sie gedurft. Nicht das kleinste Risiko durfte dem Finale im Wege stehen. Für einen Augenblick wollte er das Handy mit der neuen Karte nehmen, dann fiel ihm ein, dass dies nicht mehr notwendig war. Vorsichtshalber legte er ein Tuch auf die kleine Öffnung, durch die sich seine Stimme zwängen musste. Er gab an, ein Kollege zu sein, woraufhin ihn die freundliche Arzthelferin sofort weiter verband.
»Dr. Nordmann, was kann ich für Sie tun?«
»Bartram, schönen guten Tag.«
»Hallo Ulrich«, die Stimme verlor an Freundlichkeit, »ich denke, wir sind quitt, nur für den Fall, dass du noch einen Wunsch haben solltest.«
Treffer.
»Warum so unfreundlich, Uwe?«
»Es hätte mich in Teufelsküche bringen können, deshalb. Warum sprichst du so leise?«
»Im Knast darf man nicht telefonieren. Ich habe auch nicht viel Zeit. Den Konjunktiv kannst du übrigens streichen.«
»Was? Moment …«
Leon vernahm Schritte, anschließend fiel eine Tür ins Schloss, die Hintergrundgeräusche verstummten.
»Wie meinst du das, wieso im Knast, ich verstehe nicht …«
»Irgendwas stimmte nicht mit dem Präparat, war es vielleicht lange abgelaufen, ich habe nicht darauf geachtet.«
»Was? Nein, was ist passiert?«
»Sie haben es nicht vertragen, es hat Tote gegeben.«
Lange, gedankenschwere Stille wurde durch ein schepperndes Geräusch beendet, Leon vernahm schweres Atmen.
»Ich hatte dir das Päckchen Dormicum gegeben, weil du es gegen deine Schlafstörungen einsetzen wolltest. Ohne Rezept, weil ich dir noch einen Gefallen schuldete.«
Seine Stimme wurde eindringlich:
»Was hast du getan?«
»Ich habe meine Pläne geändert, ist eine lange Geschichte. Jedenfalls wollte ich dich warnen. Ich werde deinen Namen nicht heraushalten können.«
»Mit Mord habe ich nichts zu tun.«
»Ich fürchte, so einfach kannst du es dir nicht machen. Ich muss Schluss machen, der Schließer kommt. Vielleicht sehen wir uns bald.«
Versenkt.
Leon legte auf. Die Lunte war entzündet, bei dem Gedanken bildeten sich kleine Grübchen neben seinem Mund.
52
Als Joshua am Ende des schmalen Weges, der zum Hof seiner Eltern führte, angelangt war, wurden seine Hände feucht. Beängstigende Ruhe lag über dem Anwesen, der Hof war leer. Joshua fühlte seinen Herzschlag, während er den vereinbarten Takt an die Tür klopfte. Er wartete keine fünf Sekunden, klopfte erneut. In dem Moment hörte er die Stimme seines Vaters durch den Flur hallen.
»Ja doch«, beherzt riss Gunther Trempe die dunkelgrüne Holztür weit auf, »was gibt es denn so Eiliges?«
»Warum sind die Kollegen nicht hier?«
»Weil ich sie wieder weggeschickt habe. Als ob die nichts anderes zu tun hätten, als auf zwei alte Leute aufzupassen. Was soll der Quatsch überhaupt?«
Warum kann er mir nicht einmal vertrauen?, schoss es Joshua durch den Kopf. Er folgte seinem Vater in die Wohnküche. Seine Mutter war zu allem Überfluss in die Stadt gefahren, Material für die Malerei besorgen. Allmählich beruhigte Joshua sich bei dem Gedanken, dass der mutmaßliche Täter inhaftiert war. Er berichtete seinem Vater von der Todesliste, die sie in Ulrich Bartrams Haus gefunden hatten.
»Warum steht dein Name auf der Liste?«
Gunther Trempe wirkte verwirrt.
»Keine Ahnung. Aber der Name Bartram kommt mir bekannt vor. Ich nehme an, ihr beschuldigt ihn, die drei Morde begangen zu haben.«
»Ja.«
Joshua erzählte seinem Vater ausführlich von dem Fall. Als er die Gerichtsverhandlung gegen Leon Bartram erwähnte, wurde Gunther Trempe stutzig. Auf seiner Stirn zeigten sich kleine Falten. Joshua gewährte ihm die Zeit, in Erinnerungen zu kramen. Nach zwei Minuten erhellten sich die Augen seines Vaters.
»Jetzt fällt es mir wieder ein.
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