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Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Frayn
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er, als er ihren sanften, offenen Blick wahrnahm, und er konnte nicht anders, er musste lächeln.
    O nein ! dachte Nikki, als Oliver sie auf seine sanfte melancholische Art anlächelte. Er ist es!
    Und selbstverständlich erwiderte sie das Lächeln.
    Großer Gott, dachte Oliver, als er das Lächeln sah. Sie hält mich für ihn!
    Und auf einmal wusste er, dass es so war. Er war tatsächlich Dr. Norman Wilfred. Er sah, wie sich sein Leben als Dr. Norman Wilfred vor ihm erstreckte wie ein goldener Weg in den Sonnenaufgang. Er hatte keine andere Wahl, als diesen Weg zu beschreiten, der Wärme, dem Licht entgegen.
    Und er tat es und zog seinen Koffer hinter sich her.
    Sie sah, wie er näher kam. Er lächelte noch immer. Sie lächelte auch noch immer, merkte sie.
    »Dr. Wilfred?« sagte sie.
    »Ich kann nicht lügen«, sagte Oliver. Nein – sagte Dr. Wilfred .
    Sie wollte eindeutig, dass er Dr. Wilfred war, das sah er. Später, wenn sich herausstellte, dass er doch nicht Dr. Wilfred war, wäre sie wahrscheinlich enttäuscht. Aber später war später. Von unmittelbarer Priorität war, dass er sie jetzt nicht enttäuschen durfte. Und es war auch ein Fünkchen Wahrheit in dem, was er gesagt hatte. Er war kein guter Lügner, und er log nie. Nicht, wenn es nicht notwendig war.
    Sie lächelte immer noch, und die Wärme dieses Lächelns machte sie fast so schön, wie er ihr sagen würde, dass sie war, sobald sich eine passende Gelegenheit böte. Sie steckte ihr Schild auf das Klemmbrett, das sie dabeihatte, und schüttelte ihm die Hand.
    »Ich bin Nikki«, sagte sie. »Der Name auf den vielen Mails.«
    »Nikki«, sagte er. »Natürlich. Obwohl ich aufgrund des Namens nicht gedacht hätte, dass Sie so aussehen.«
    Sie brachte ein Stirnrunzeln zustande und nahm den Griff seines Koffers. Aber er sah, dass ihr Stirnrunzeln auf die gleiche Art ein Stirnrunzeln war, wie er Dr. Wilfred war. Er spürte das vertraute Aufwallen freudiger Aufregung. Jetzt ging das schon wieder los!
    »Wie auch immer«, sagte sie. »Willkommen auf Skios.«

8
    Dr. Norman Wilfred berührte »Senden« auf seinem Handy, und sein interkontinentales ballistisches Geschoss startete Richtung Manitoba. Für ein mit zwei Daumen in einem fremden Flughafen verfasstes Schriftstück war es ein bemerkenswert eindrucksvolles Werk. In weiten Teilen von Kanada lägen Leichenteile verstreut. Er konnte sich beruhigt wieder seinem Besuch auf Skios zuwenden.
    Wo waren wir …? Handgepäck! Ja, noch immer zwischen seinen Füßen verstaut. Dann also noch der Koffer …
    Er musste feststellen, dass die dunkle Gepäckflut auf dem Band zu einem dünnen Tröpfeln geworden war, und noch während er hinsah, nahm der einzig neben ihm verbliebene Passagier seinen Koffer und ging.
    Dr. Wilfred stand allein in der Gepäckausgabehalle wie der letzte Junge in der Schule, den niemand in der Fußballmannschaft haben wollte. Eine zerfallende Schachtel kam niedergeschlagen in Sicht … ein drei Meter langer Leinensack mit Tarnmuster … und ja, sein Koffer mit dem vertrauten Anhänger aus rotem Leder. Doch als Dr. Wilfred den Arm ausstreckte, um ihn zu nehmen, bemerkte er, dass der Koffer selbst alles andere als vertraut war. Er hatte etwas unmerklich, aber unverwechselbar Fremdes. Offensichtlich war auch jemand anders auf die Idee mit dem roten Gepäckanhänger gekommen. Er öffnete ihn. Ja. Jemand namens Annuka Vos.
    Er stellte den Koffer zurück auf das Band. Die Schachtel drehte ihre nächste Runde, schämte sich, dass niemand sie haben wollte … der drei Meter lange Sack … der fremde Koffer … Die scheinbar unerschöpfliche Quelle an Gepäck hinter den Gummiklappen war endgültig ausgetrocknet.
    Wieder die Schachtel … Der Sack … Der fremde Koffer … Und plötzlich standen alle drei still, als hätten sie die Hoffnung aufgegeben, ihre Besitzer zu finden. Eine große Stille erfüllte die Halle.
    Die Idioten hatten seinen Koffer verloren. Natürlich. Zuerst verhöhnt ein gehässiger kleiner Niemand aus Manitoba dein gesamtes Lebenswerk, und dann verliert die Fluglinie dein Gepäck.
    Das wartende Glas mit gekühltem Weißwein unter den Sternen, die leicht gebräunte Haut und das dezent blondierte Haar hatten sich aufgelöst, als hätte es sie nie gegeben.
    Skios! Irgendwie hatte er immer gewusst, dass es ein Desaster werden würde.
    »Tut mir leid«, sagte Nikki. »Ich hatte eine tolle Begrüßungsrede vorbereitet, aber irgendwie habe ich sie komplett vergessen.«
    Sie gingen Seite an

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