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Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Frayn
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nur einen Tag zu leben hatte. Und ja, auch er freute sich darauf, um so mehr, da er keine Ahnung hatte, worauf er sich freute, und es ihm wahrscheinlich wieder genommen würde, bevor er es herausfände.
    »Sie haben alle Literatur, die ich Ihnen geschickt habe«, sagte Nikki. »Aber wenn Sie sonst noch etwas wissen möchten …?«
    »Nichts«, sagte er. Soweit er sich erinnerte, hatte er bislang immer gewusst, wer er war. Er war ein Bestattungsunternehmer, ein dänischer Abgeordneter auf Besuch, ein neuer Schwiegersohn. Vielleicht war er dieses Mal ein Allgemeinarzt aus einer Kleinstadt auf dem Land – vielleicht aber auch nicht. Vermutlich eher nicht; es war unwahrscheinlich, dass er Patienten hatte, die so aufgeregt waren, wenn er kam, oder so weit von seiner Praxis entfernt lebten. Vielleicht war er überhaupt kein Doktor der Medizin.
    Nun, er würde es im weiteren Verlauf herausfinden, er war nicht in der Lage, sich zu bremsen. Leider. Denn im Augenblick war er eine lebende Metapher der Condition humaine. Er wusste nicht, woher er kam und wohin er unterwegs war, noch was für ein Mensch er war und warum er überhaupt hier war. Er wurde zu irgendeinem Zweck irgendwohin gefahren, doch was diesen Zweck betraf, befand er sich nach wie vor in einem Zustand unschuldiger Unwissenheit.
    »Aber eins muss ich Ihnen sagen«, sagte Nikki, »es war meine Idee! Offiziell hat Sie natürlich Christian eingeladen. Der Direktor. Deswegen stand auf dem Brief ›Christian Schneck‹, aber eigentlich kam der Vorschlag aus Mrs. Topplers Büro, deswegen war es technisch gesehen ihre Idee. Ich bin aber Mrs. Topplers PA, also diejenige, die ihr die Ideen vorschlägt, die sie haben soll.«
    »Ich verstehe«, sagte Oliver, wobei er nicht ganz so ehrlich war, wie er es gern gewesen wäre.
    »Vielleicht sollte ich erklären, dass hier so etwas wie ein Machtkampf stattfindet. Wie in jeder Institution. Na ja, das werden Sie nicht alles hören wollen. Nur damit Sie es wissen, wenn Sie Mrs. Toppler vorgestellt werden … Und falls Sie Eric über den Weg laufen und er irgendwas sagt … Eric Felt. Christians Assistent. Christian hat sich sehr zurückgezogen. Wie Sie wissen, hat Dieter Knopp, Christians Vorgänger, die Stiftung zu dem gemacht, was sie ist. Christian hat Schwierigkeiten, an die Leistungen von Dieter Knopp anzuknüpfen.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Oliver. Auch das entsprach nicht der Wahrheit. Die schleierhaften Knopplers und Schnopplers, die da vorbeizogen, wirkten so beruhigend auf ihn wie das Wehen des dunklen Winds durch sein Haar.
    »Sie waren selbstverständlich ein ganz offensichtlicher Kandidat«, sagte Nikki. »Sie sind auf der ganzen Welt anerkannt. Und Ihr Lebenslauf ist wirklich beeindruckend. Sie scheinen ja alles gemacht zu haben.«
    »Wirklich?«
    »Bloß geheiratet haben Sie offenbar nicht.«
    Er war also nicht verheiratet. Er war so ungebunden wie der warme Sommerwind.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Wie unhöflich von mir! Aber Frauen merken nun einmal auch die persönlichen Dinge.«
    »Auch Männer merken manchmal, ob sie verheiratet sind oder nicht«, sagte er.
    »Nicht immer«, sagte sie. »Meiner Erfahrung nach.«
    Das Scheinwerferlicht traf auf eine rot-weiß gestreifte Schranke, die quer vor ihnen über die Straße verlief. Nikki hielt an, und aus den Schatten trat ein uniformierter Wachmann. »Der Sicherheitsdienst hat vier extra Männer eingestellt«, sagte Nikki zu Oliver. »Alles wegen Ihnen!«
    »Ausweis«, sagte der Wachmann.
    »Giorgios! Ich bin’s!«
    »Ausweis«, sagte Giorgios.
    Nikki lachte. »Wenn nur alle unsere Angestellten so gründlich wären«, sagte sie. Sie zeigte Giorgios ihren Pass. Oliver beobachtete ihn, während er gewissenhaft darin blätterte. Es war nur zu klar, was als nächstes passieren würde. Ja. Giorgios gab Nikki ihren Pass zurück und hielt Oliver die Hand hin.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Nikki. »Er gehört zu mir. Mach auf.«
    Giorgios hielt die Hand weiter hin. »Niemand kommt rein«, sagte er, »nur wenn er hat Ausweis.«
    »Dieser Herr braucht keinen Ausweis. Er ist unser Gast.«
    »Gast? Er hat Einladung? Kein Personal, nur wenn hat Ausweis. Kein Gast, nur wenn hat Einladung. Mr. Bolt hat gesagt. ›Niemand‹, hat er gesagt. ›Niemand außer niemand.‹«
    Nikki sagte etwas auf griechisch zu ihm.
    »Niemand«, entgegnete er auf griechisch. »Niemand«, wiederholte er auf englisch.
    »Tut mir leid«, sagte Nikki zu Oliver. »Zeigen Sie ihm

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