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Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Frayn
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das ihm in die Augen fiel. Er war eine aufgeblasene Berühmtheit mit Glatze und vielen teuren, in seine Taille eingebauten Mahlzeiten.
    Wie hatte sie nur eine Sekunde lang glauben können, dass Dr. Wilfred Dr. Wilfred war?
    Weil, ja, es war im Flughafen passiert, im allerersten Augenblick, als ihr Blick auf ihn fiel. Er hatte auf ihr Schild geschaut und gelächelt. Sie hatte »Dr. Wilfred?« gefragt, und er hatte ja gesagt. So einfach war es.
    Nein, er hatte nicht einmal ja gesagt. Sie erinnerte sich genau, was er gesagt hatte: »Ich kann nicht lügen.«
    Er konnte nicht lügen. Er hatte nicht gelogen. Sie selbst hatte Dr. Wilfred zu Dr. Wilfred gemacht, im Alleingang.
    »Dieser Mann, von dem ich dir erzählt habe«, sagte sie zu Georgie. »Er ist nicht der, für den ich ihn gehalten habe. Du hast es mir noch gesagt. Du hast gesagt, warte, bis du ihn ein bisschen länger kennst. Vermutlich habe ich es gewusst. Von Anfang an. Vom ersten Augenblick an. Natürlich wusste ich es. Alles an ihm war einfach zu schön, um wahr zu sein.«
    Georgie antwortete nicht.
    »Georgie?« sagte sie. »Kannst du mich hören? Hallo? Bist du da …?«
    »Ja, ich bin da«, sagte eine Stimme, die nicht die Georgies war. »Und Ihre widerliche kleine Freundin ist nicht mehr da und mein Koffer auch nicht. Und wenn Sie mitgeholfen haben, ihn zu stehlen, dann lassen Sie sich gesagt sein, dass das mein Telefon ist und ich jetzt Ihre Nummer habe.«
    Nikki legte den Pass gewissenhaft auf den Schreibtisch neben dem Koffer und beendete das Gespräch. Etwas widerstrebend. Sie fühlte sich so klein und einsam, dass sie nahezu willens gewesen wäre, selbst der Putzfrau ihr Herz auszuschütten.

36
    Währenddessen sank die Sonne tiefer und näherte sich ihrem vorherbestimmten täglichen Untergang im Meer. Der Tag strebte seinem Höhepunkt und der eingeplanten jährlichen Apotheose in Form des Fred-Toppler-Vortrags entgegen. Sonne und Stiftung waren auf komplexe Weise ausschließlich auf sich konzentriert, wie ein Dampfer, der nach New York fährt, oder wie die Welt selbst auf ihrer großen Reise, wohin immer das Schicksal sie führt. Weder Sonne noch Welt und auch nicht die Stiftung störten sich an kleinen internen Unstimmigkeiten.
    Die Kellner von der Agentur, die am Morgen mit der Fähre aus Athen gekommen waren, steckten die Fliegen an die Hemdkragen. Das Streichquartett, das während des Champagnerempfangs im Tempel der Athene unhörbar spielen würde, stellte seine Notenständer auf und zankte sich, weil die zweite Geige am Vorabend bei ihrem Auftritt anlässlich einer Beerdigung in Kalamaki etwas vermasselt hatte. In den Gästebungalows zwischen der Vegetation auf der Landzunge standen Ehefrauen vor Spiegeln, hielten sich Kleider an und musterten sich unzufrieden und baten ihre Männer um die beruhigenden Kommentare, die diese im Lauf der Jahre schon so oft von sich gegeben hatten; und Ehemänner lagen auf den Betten, noch versunken in frühabendliche Mattigkeit, blickten zur Decke und murmelten, ohne hinzuschauen, wieder einmal die gut einstudierten Worte.
    Um den Tisch im Vorstandszimmer von Demokrit saßen der Bischof des Hesperiden-Archipels und andere verdiente Vorstandsmitglieder der Stiftung und nahmen geschäftig Entschuldigungen entgegen, billigten Protokolle, genehmigten Bilanzen, ernannten Rechnungsprüfer, unterdrückten ein Gähnen, brachten Dank zum Ausdruck, entboten Glückwünsche, traten zurück, traten wieder an und warteten auf den nächsten Tagesordnungspunkt oder hofften, dass es keinen mehr gab. Hinter den geschlossenen Türen des Konferenzraums in Aristippos hielt Mr. Papadopoulou eine separate Besprechung mit Oleg Skorbatow und mehreren anderen Geschäftspartnern aus der Türkei, dem Libanon, Ägypten und Süditalien ab. Was allerdings ihre Diskussionen mit der europäischen Zivilisation zu tun hatten, wusste keiner. Mr. Papadopoulous Leute hatten das gesamte Haus nach Wanzen durchkämmt, und Mr. Skorbatows Leute, die den Griechen nicht trauten, hatten es noch einmal durchsucht; und jetzt standen die Sicherheitsleute aller Gesprächsteilnehmer vor der Tür und ließen sich gegenseitig nicht aus den Augen.
    Unten am Wasser schlenderte Giorgios, der Wachmann, langsam den Kai entlang, gähnte und kratzte sich. Er hatte wenig zu tun, da viele von Mr. Papadopoulous Gästen ihre eigenen Leibwächter mitgebracht hatten – und da die ganze Stiftung sowieso auch ohne ihren Beistand sicher schien. Eine große hölzerne Kiste stand

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