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Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)

Titel: Willkommen auf Skios: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Frayn
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Flughafen ziehen und mit in die Luft nehmen musste. Sein Koffer konnte bleiben, wo er war, in dem Zimmer, das er verlassen hatte. Es war nichts darin, was er nicht genauso leicht aufgeben konnte wie das Zimmer. Jedenfalls nichts, was ihm gehörte, bei näherem Nachdenken. Nicht einmal der Koffer gehörte ihm. Irgendwo musste ein anderer Koffer sein voller Dinge, die tatsächlich ihm gehörten. Vermutlich befand er sich im Besitz des anderen Dr. Wilfred, dieser schemenhaften Gestalt, die jetzt wieder ins Scheinwerferlicht treten und ihre Existenz erneut aufnehmen konnte. Sollte er doch beide Koffer haben, wer immer er war.
    Alles, was Oliver im Leben brauchte, befand sich in seinen Taschen. Ein bisschen Bargeld und ein paar Kreditkarten. Er überprüfte den Inhalt seiner Hosentaschen. Okay. Gut. Er überprüfte die Hemdentasche. Er hatte sein Telefon. Vielleicht nicht lebenswichtig, aber nützlich. Den Schokoladenriegel und das wasserlösliche Aspirin. Nicht lebensnotwendig, aber praktisch. Mehr brauchte er nicht in der großen weiten Welt.
    Oh. Eins noch …
    Nikki setzte sich. Ihre Knie hatten nachgegeben. Sie schaute noch einmal in den Pass.
    Nein, es führte kein Weg daran vorbei. Die Schreibweise war definitiv falsch. »Norman« schrieb man nicht O-L-I-V-E-R. »Wilfred« schrieb man nicht F-O-X.

35
    »Zweiunddreißig Euro«, sagte Stavros.
    Er musste es zweimal sagen, denn das erstemal stand Dr. Wilfred auf einem dunklen Hügel unter einem funkelnden Nachthimmel und erklärte Georgie, inwiefern die scheinbar zufällige Verteilung der Himmelskörper in vollkommenem Einklang mit einer Kausalität stand, die ihrerseits bestimmt war von bereits zuvor existierenden fundamentalen Gesetzen, und es war schwer zu verstehen, an welcher Stelle die Summe von zweiunddreißig Euro in diese Erklärung passte.
    Die Sterne erloschen. Ach ja, Stavros. Das Taxi. Sie waren vor der Stiftung angekommen. Dr. Wilfred stieg aus und hievte seine Tasche auf die Schulter, während er nach seiner Brieftasche suchte. Er kam nicht umhin zu bemerken, dass gleichzeitig mit ihm eine erfreulich große Anzahl von Leuten eintraf, um seinen Vortrag zu hören. Wieder und wieder öffneten sich die automatischen Glasschiebetüren, um sie einzulassen. Erstaunlich viele von ihnen waren übergewichtig und erstaunlich leger gekleidet, mit nackten schwabbligen Taillen und sonnenverbrannten Knien und Schultern. Viele hatten ihre Kinder mitgebracht, und alle schoben Gepäckwagen mit zahllosen Koffern.
    Die fünfunddreißig Euro, die Dr. Wilfred seiner Brieftasche entnommen hatte, zögerten über Stavros wartender Hand.
    »Einen Moment …« sagte er.
    »Achtunddreißig Euro«, sagte Spiros, als er hinter dem Taxi von Stavros vor der Abflughalle des Flughafens anhielt.
    Aber Oliver stieg nicht aus. Er kontrollierte noch einmal alle Taschen. Nein, er hatte ihn nicht. Er dachte kurz daran, den Mann von der Passkontrolle zu bequatschen, ihn ohne Pass durchzulassen. Wenn so viele Leute, ohne dass er sich nur im geringsten anstrengen musste, bereit waren zu glauben, dass er Dr. Norman Wilfred war, der er nicht war, dann würden ihm ein paar schlichte Beamte bestimmt abnehmen, dass er Oliver Fox war, der er tatsächlich war …
    »Nein«, sagte er schließlich. »Ich muss noch einmal zurück.«
    »Zurück?« sagte Spiros.
    Er hatte seine Identität zurückgelassen. Sie irgendwo im Gästehaus abgelegt, als er Oliver Fox aus- und Dr. Norman Wilfred angezogen hatte, und vergessen, sie wieder an sich zu nehmen.
    Sie mussten jedoch warten, denn der Mann, der gerade eben aus dem Taxi vor ihnen gestiegen war, hatte es sich ebenfalls anders überlegt und stieg wieder ein.
    Nikki saß noch immer da und starrte auf den Pass. Ihr erster Gedanke war gewesen, dass der Passstelle ein Fehler unterlaufen sein musste. Das Foto zeigte ganz eindeutig Dr. Wilfred! Doch dann wurde es immer weniger eindeutig.
    Sie merkte, dass sie immer noch das Telefon in der Hand hatte. Sie hielt es sich ans Ohr. Stille. Georgie hatte sich offensichtlich ein wenig beruhigt. Das gab Nikki die Gelegenheit, ihr zu erzählen, dass sie jetzt die Rollen getauscht hatten.
    »Georgie«, sagte sie leise, »ich glaube, ich habe auch etwas ziemlich Dummes getan.«
    Denn selbstverständlich war Dr. Wilfred nicht Dr. Wilfred. Wie sollte er es auch sein? Dr. Wilfred war, wie sie sehr genau wusste, in den Fünfzigern. Er konnte unmöglich ein liebenswerter junger Idiot sein mit einem einnehmenden Lächeln und Haar,

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