Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
sein, da er seinen Koffer vom Förderband gestohlen hatte. Und dann war er abgeholt worden von der Person, die Dr. Wilfred hätte abholen müssen. Und hatte diese Person davon überzeugt, dass er Dr. Wilfred war!
Endlich klärte sich alles auf.
Und wenn der Mann in Dr. Wilfreds Zimmer geführt worden war … wenn er den ganzen Tag darin hatte bleiben dürfen … musste er sich weiterhin als Dr. Wilfred ausgegeben haben … Tat es vermutlich immer noch .
Er hatte Dr. Wilfreds Identität übernommen. Sein Leben gestohlen.
Und wo war er jetzt? Er war irgendwo dort draußen und nahm einen Drink vor dem Abendessen, wurde Wissenschaftlern und Millionären vorgestellt. Als Dr. Norman Wilfred. Ein junger Delinquent in einer Skaterhose!
Plötzlich war Dr. Wilfred klar, was der Hochstapler vorhatte. Er wollte den Fred-Toppler-Vortrag halten.
Nein – das war nicht möglich! Der Vortrag lag hier auf dem Schreibtisch vor Dr. Wilfred. Er nahm ihn und warf einen Blick darauf. »… die Herausforderungen, denen wie uns heute gegenübersehen … die Hoffnungen und Befürchtungen der Menschheit …« Er schlang die Arme darum und drückte ihn an die Brust. Wie recht er doch gehabt hatte, ihn nie aus den Augen zu lassen!
Aber vielleicht hatte der falsche Redner einen gefälschten Vortrag? Womöglich beabsichtigte er, einen selbsterfundenen Text zum besten zu geben? Irgendwelche Thesen, die die Herausforderungen ungeniert ignorierten, die Hoffnungen und Befürchtungen verhöhnten?
Nein, das war lächerlich. Er erlebte nur einen Augenblick der Panik, über den er später lachen würde. Wie auch immer, die Hochstapelei war jetzt beendet, denn jetzt war er selbst da, der echte Dr. Wilfred.
Vielleicht sollte er sich schnell rasieren und umziehen, dann hinausgehen und zweifelsfrei klarstellen, so dass es jeder verstand, dass er der war, der er war.
Nein, nicht einmal rasieren und umziehen. Das konnte er später tun. Auch unrasiert und nicht umgezogen war er, wer er war.
»Oliver Fox«, sagte Eric Felt zum zehntenmal, als würde die Wiederholung etwas mehr Bedeutung aus dem Namen kitzeln. »Und er hat es allen gesagt ! Das ist das Lächerliche daran. Ich war dabei! Ich habe es mit eigenen Ohren gehört! ›Ich bin Oliver Fox‹, hat er gesagt. Aber er hat es auf scherzhafte Weise gesagt, so dass alle es für einen Witz gehalten haben. Ich wusste, dass es kein Witz war. Deswegen habe ich sein Zimmer durchsucht.«
Er und Christian saßen bei geschlossenen Fensterläden in der Dunkelheit von Empedokles; der Pass, den Eric auf dem Schreibtisch in Dr. Norman Wilfreds Zimmer gefunden hatte, lag auf dem niederen Tischchen zwischen ihnen. Christian neigte sich darüber, versuchte den dämmrigen Schein der kleinen Schreinlampen zu nutzen; der Pass verschwand nahezu hinter den Strähnen seines glatten grauen Haars. Dr. Norman Wilfred blickte ihn unter seinem blonden Mop an. Doch das Gesicht war nicht Eigentum von Dr. Norman Wilfred. Es gehörte jemandem namens Oliver Fox.
»Die arme Nikki hat sich selbst zum Gespött gemacht«, sagte Eric. »Das ist der Redner, den sie für Mrs. Toppler an Land gezogen hat, und er stellt sich als irgendein dahergelaufener Typ raus. Sie hat Mrs. Toppler an der Nase herumgeführt. Nikki hat geglaubt, dass sie sie dazu bringen könnte, dich rauszuwerfen und sie zur Direktorin zu machen!
Und jetzt das. Sie haben uns ein Messer in die Hand gegeben, Christian! Es ist Zeit, es zu benutzen!«
39
Dr. Norman Wilfred kam gar nicht in den Tempel der Athene hinein, weil die Gäste auf dem Weg zum Abendessen bereits herausströmten. Alle kehrten ihm den Rücken, verbargen etwas oder jemanden, den sie wie ein Schwarm Bienen umschwirrten. Er wusste nicht so recht, wie er die Leute darauf aufmerksam machen sollte, dass ihr Redner endlich eingetroffen war.
»Hallo!« sagte er. »Entschuldigung.«
Niemand wandte sich um. Die Bienen schienen ertaubt von ihrem eigenen aufgeregten Summen.
Eine Frau stand etwas abseits, genauso absorbiert wie die anderen von was immer es war, doch sie hielt ein Klemmbrett in Händen, und das ließ auf eine offizielle Position schließen.
»Entschuldigen Sie«, sagte er. Er wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. »Hallo … Entschuldigung …«
Ihr Blick schweifte kurz zu ihm, hinauf zu den Fransen ungewaschenen, ungekämmten Haars um sein sonnenverbranntes Haupt, dann hinunter über die grauen Stoppeln auf seinem Kinn bis zu der Freizeithose, die um die Konturen seiner Beine
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