Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
faltig getrocknet war.
»Dr. Norman Wilfred«, sagte er und hielt ihr die Hand hin, mit der er vor ihrem Gesicht herumgefuchtelt hatte.
Sie ignorierte seine Hand und nickte in Richtung der Rücken vor ihr.
»Da«, sagte sie. »Wenn Sie ihn im Kreis seiner Verehrer überhaupt sehen können.« Sie machte auf der Stelle kehrt und ging davon.
Dr. Wilfred hatte das Gefühl, als würde er auf Sand stehen, den das zurückweichende Wasser unter seinen Füßen wegwusch. Vielleicht war sein lächerlicher Moment der Panik zuvor gar nicht so lächerlich gewesen. Jetzt erst merkte er, dass die Leute in unterschiedlichen Tonhöhen und Tonfällen aufgeregt seinen Namen sagten. »Dr. Wilfred! Dr. Wilfred? Dr. Wilfred, darf ich Sie fragen …? Dr. Wilfred, was halten Sie von …?« Sie sprachen allerdings nicht ihn an, sondern jemand anders, den er in der dichten Menschenmenge nicht einmal sehen konnte. »Dr. Wilfred, das ist der Bischof des Hesperiden-Archipels … Mr. und Mrs. Oleg Skorbatow … Seine Exzellenz Scheich Abdul hilal bin-Taimour bin-Hamud bin-Ali al-Said …«
Einen Augenblick lang glaubte Dr. Wilfred, jene Art außerkörperlicher Erfahrung zu haben, bei der man sich angeblich selbst beim Sterben zusieht. Verborgen hinter diesen Menschen, wie ein ausrangierter Körper auf dem Operationstisch versteckt hinter Ärzten und Schwestern, die sich verzweifelt über ihn neigten, war er selbst. Nicht er selbst, wie er war, sondern wie er in einem anderen Leben hätte sein können. Jünger, bierbäuchig, in Skaterhose. Und nicht sterbend – lebend. Das Leben lebend, das diesem Dr. Wilfred gehörte.
Ja, das war es, was so ganz und gar nicht stimmte – dass er dort drin nicht er war. Es war jemand anders. Der Urheber all seiner Missgeschicke und der Dieb all seiner Mühen.
Wieder durchfuhr ihn ein schwarzer Blitzschlag des Zorns. Er lief der Menge düpierter Speichellecker nach, die sich in Bewegung gesetzt hatte, konnte kaum den Moment erwarten, wenn er den Gauner öffentlich bloßstellte und demütigte, wenn er das Königreich zurückforderte, das er ihm gestohlen hatte.
»He!« rief er. »Warten Sie. Halt!«
Aber niemand wartete. Niemand blieb stehen. Niemand hörte ihn.
»Nicht er!« schrie er. »Ich!«
Ein Mann ganz hinten drehte sich um.
»Ich, ich, ich!« sagte Dr. Wilfred, hatte in seiner Wut jedoch Mühe, die angemessenen Worte zu finden, um die ungeheuerliche Ungerechtigkeit zu artikulieren, die ihm widerfahren war. »Dr. Norman Wilfred! Ich. Ich bin’s.«
Der Mann lächelte, nickte und schaute weg. Es war ihm peinlich, dass er das Opfer eines frei herumlaufenden Schizophrenen geworden war.
Auf diese noch unmittelbarere Beleidigung hin richtete sich Dr. Wilfreds Wut auf das zugänglichere Objekt. Er packte den Mann am Arm.
» Ich bin’s! Ich bin’s!« rief er. Der Mann entriss ihm entsetzt den Arm. Mehrere Personen drehten sich neugierig um. Dr. Wilfred wedelte mit dem Text seines Vortrags vor ihren Gesichtern herum.
»Mein Vortrag!« rief er. »Meiner. Ich bin Dr. Norman Wilfred! Nicht er! Ich!«
Die Leute blickten nicht auf den Vortrag, sondern sich gegenseitig an und dann überallhin, peinlich berührt, weil sie gesehen worden waren, wie sie Zeuge dieses Ausbruchs wurden.
Dr. Wilfred blieb stehen und sah zu, wie sie sich immer weiter von ihm entfernten. Die öffentliche Meinung, was seine Identität anbelangte, war in überwältigendem Maße gegen ihn. Er war eine Minderheit von einer Person, und es gab nichts, was er dagegen hätte tun können.
Er setzte sich auf eine Bank neben dem Weg. Zum drittenmal an diesem Tag fühlte er sich schwach und merkwürdig, als würde er sich von einem weiteren Anfall von Fieberwahn erholen. Im letzten Dämmerlicht blickte er auf seinen Vortrag. Aber er war Dr. Norman Wilfred! Er war es, er war es wirklich! Es stand auf der Mappe!
Er schlug sie auf und fand sich wieder einmal in der pulsierenden und umtriebigen Stadt Kuala Lumpur … oder vielmehr in der weiten offenen Landschaft von Westaustralien … nein, auf der beschaulichen grünen Insel Skios. Er las noch einmal die Absätze, die er speziell für den heutigen Abend verfasst hatte, über die Parallelen zwischen einerseits den Mäzenen, die die europäische Zivilisation angeleitet und unterstützt hatten, die die Fred-Toppler-Stiftung ihrerseits förderte, und andererseits den Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen, die wissenschaftliche Forschung in Auftrag gaben und finanzierten. Und jetzt war
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