Willkommen auf Skios: Roman (German Edition)
den Arm und eilte zurück in die Welt.
Wenn er ich ist, dachte er, dann werde ich er sein. Lebt er mein Leben – lebe ich seins.
Über der Agora schwebte ein mit rosa und goldenen Zirruswölkchen freskierter Himmel. Auf den Tischen flackerten matt die Kerzen, während die Gäste herumschlenderten, ihre Plätze suchten, hinter ihren Stühlen stehenblieben und darauf warteten, dass der Bischof das Tischgebet sprach. Tischnachbarn stellten sich einander freundlich murmelnd vor. »Hallo!« sagten die wohlhabenden und sozial versierten Gäste der Stiftung zueinander, reichten sich zur Begrüßung höflich die Hände und lächelten liebenswürdig. Mr. Papadopoulous wohlhabende und sozial argwöhnische Geschäftspartner blickten, ohne eine Miene zu verziehen, auf die ausgestreckten Hände, nickten und ließen sich nichts anmerken.
In der Mitte des wichtigsten Tisches, im Zentrum aller Aufmerksamkeit, stand Dr. Wilfred. Er hatte vor der öffentlichen Meinung kapituliert. Er würde Dr. Wilfred bleiben müssen.
Links von ihm stand Mrs. Fred Toppler; das Kerzenlicht reflektierte blitzende Feuerpunkte von ihrem Haar, ihrem Hals, ihrem Busen, ihren Fingern; rechts von ihm Mrs. Skorbatowa, deren tiefgebräunte Brüste darum kämpften, sich aus dem Dekolleté zu befreien, und deren Konstruktion messingfarbenen Haars auf dem Kopf gegen einen Angriff mit Handfeuerwaffen gefeit gewesen wäre. Vor Mrs. Toppler befanden sich ein Rednerpult und mehrere Mikrofone. Bevor diese vor Dr. Wilfred gestellt würden, gäbe es ein viergängiges Abendessen, vier exzellente Weine und bestimmt Zeit genug, um sich einfallen zu lassen, was er tun würde, wenn es soweit wäre.
Mrs. Toppler nahm ein Hämmerchen aus einheimischem Olivenholz und schlug dreimal damit auf einen olivenhölzernen Sockel. Die Gespräche verstummten. Die Kerzen flackerten nicht mehr und verhielten sich so reglos wie die Gäste hinter ihren Stühlen. Am anderen Ende des Tisches erhob sich griechisches Genuschel, unverständlich, aber eindeutig liturgisch. »Amen«, sagten alle außer den kompromisslosesten Atheisten und den verschwiegensten Geschäftsmännern. Dann wurden über geliehene Orientteppiche geliehene vergoldete Stühle von den Tischen zurückgezogen, und alle setzten sich.
Das Abendessen, der triumphale Abschluss der jährlichen großen europäischen Hausparty der Fred-Toppler-Stiftung, hatte begonnen.
40
Nikki stand auf der Treppe zur Agora, in der Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht, und ließ den Blick über die Welt schweifen, die sie erschaffen hatte. Augen funkelten im Kerzenlicht. Münder sprachen und lächelten im Kerzenlicht. Von Kerzenlicht beschienene Köpfe neigten sich vor, um zuzuhören, wurden in den Nacken geworfen, um zu lachen. Von Kerzenlicht beschienene Hände hoben Suppenlöffel, brachen Brot, machten charmante Gesten. Weitere Gesichter tauchten aus den Schatten auf, als Kellner sich ins Licht beugten, um zu servieren und einzuschenken, Teller hinzustellen und abzuräumen. Eine beruhigende Musik unverständlicher geselliger Geräusche schwebte in die Nacht. Alles lief gut.
Doch Nikki sah nur Dr. Norman Wilfred, wie sie nicht umhinkonnte, ihn zu nennen, der Mrs. Toppler mit seinem schiefen Lächeln bedachte, während sie mit ihm sprach – und sprach und sprach, sich nah zu ihm neigte, die Hand auf seinem Arm. Er könne nicht lügen, hatte er zu Nikki am Flughafen gesagt, aber er konnte lügenhaft lächeln, und er konnte lügenhaft zuhören. Er konnte lügenhaft blicken, während er das lügenhafte zerzauste blonde Haar aus seinen sanften braunen lügenden Augen strich.
Wer war er, dieser Oliver Fox?
Warum hatte er es getan?
Was würde er als nächstes tun?
Und, am allerwichtigsten, was würde sie deswegen tun?
Sie wusste, was sie tun würde. Sie würde es unterbinden. Sie würde es Mrs. Toppler erzählen. Sie würde es ihr jetzt erzählen.
Aber wie? Sie müsste sich ihr auf der rechten, Dr. Wilfred abgewandten Seite nähern und ihr Gespräch mit ihm unterbrechen. Und es ihr dann inmitten des Lärms beim Abendessen zuflüstern.
Doch welche geflüsterten Worte konnte sie finden, die Mrs. Toppler etwas so Unbegreifliches begreiflich machen würden? Und auch wenn sie die Worte fände, wie sollte sie Mrs. Toppler dazu bringen, sie zu glauben?
Die Welt um Nikki folgte ihrem vorbestimmten Kurs. Gabeln bewegten sich zwischen Tellern und Mündern. Die ersten matt schimmernden Sterne am Himmel zogen gen Westen. Und sie stand
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