Willkommen im Land der Liebe
könnte sie gehen?
Seit vierzehn Jahren diente ihr Vater dem Sultan von Baraka – beinahe während seiner gesamten Regierungszeit. Daher verfügte er über Macht, Beziehungen und Reichtum. Wer würde der Tochter von Omar al-Issidri helfen?
Keira runzelte die Stirn und rieb sich die Schläfen. Das Denken tat ihr weh. Nach diesem scheußlich langen Tag saß sie jetzt auch noch hier auf diesem Balkon fest. Warum hattesie sich nur überreden lassen? Die Musik war zu hart und zu laut. Die Leute gehörten zu einer anderen Welt. Die Nacht war heiß und feucht.
Und sie war müde. Am Boden zerstört. Von Panik überwältigt. Das war kein guter Aufenthaltsort für sie – er war nicht sicher.
Obwohl es Jahre zurücklag, hasste sie Partys noch immer. All diese Jahre, und die Hitze, der Lärm und die vom Alkohol angeheizte Stimmung auf Partys brachten sie noch immer aus der Fassung. Man kann der Vergangenheit eben nicht davonlaufen, dachte sie resigniert.
„Nicht springen“, sagte eine spöttische Männerstimme hinter ihr kühl. Eine Stimme mit einem fremden Akzent – britisch, kultiviert und trotzdem exotisch.
Trotz des seltsamen Kribbelns im Rücken drehte Keira sich nicht um. „Ich habe nicht die Absicht zu springen“, antwortete sie nicht minder kühl und sah weiterhin auf die Silhouette der Stadt, während sie ihr Weinglas an die Lippen hob und einen Schluck trank.
„Obwohl Sie hoffnungslos in der Falle sitzen?“
Mit aller Macht unterdrückte sie das Aufflackern der Angst, ignorierte den Adrenalinschub. „Finden Sie das nicht etwas anmaßend?“
„Nicht wenn man über jemanden so viel weiß wie ich über Sie.“
Ihr gefiel weder sein Ton noch seine großspurige Haltung. Arrogante Männer mochte sie nicht.
„Ich könnte Sie jetzt als Angeber entlarven, aber mir liegt nichts daran, diese Unterhaltung fortzusetzen.“
„Dann bringe ich Sie jetzt dazu, Farbe zu bekennen, Lalla Keira al-Issidri.“
Arabisch. Und nicht nur einfach Arabisch, sondern barakanisches Arabisch.
Er kannte ihren Vater. Er musste ihren Vater kennen. Schließlich hatte er sie Keira al-Issidri genannt.
Um ihm ins Gesicht zu sehen, drehte sie sich um, aber auf den Balkon fiel kaum Licht von innen, und sein Gesicht lag im Schatten. „Wer sind Sie?“
„Ein Freund der Familie.“
Also war es schon geschehen. Ihr Vater hatte jemanden zu ihr geschickt. Er hatte nicht einmal acht Stunden gewartet. Keira atmete tief ein, um ihre Nerven zu beruhigen. „Was wollen Sie?“
„Ihnen eine Wahlmöglichkeit geben.“
Sie traute keinem Mann, und schon gar nicht einem Mann aus Baraka. „Ich verstehe nicht.“
„Ich denke schon, dass Sie mich verstehen.“
Da war etwas in seinem Ton, das sie nervös machte, eine Vertrautheit, die ihr unangenehm war. „Treten Sie bitte ins Licht“, sagte sie forsch und versuchte, so viel Festigkeit wie möglich in ihre Stimme zu legen. „Ich will Sie sehen.“
„Warum?“
„Weil ich den feigen Mann sehen will, dem es Spaß macht, Frauen einzuschüchtern.“
„Wenn das so ist.“ Damit trat er aus dem Schatten in den gelblichen Lichtschein, der durch die geöffnete Balkontür nach außen fiel.
„Besser?“, fragte er und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Können Sie den Feigling jetzt sehen?“
Scharf zog sie die Luft ein, ihre Augen weiteten sich vor Schreck, und sie wich vor dem zurück, was sie sah.
„Vielleicht ist es im Schatten doch besser“, meinte er, während er von der Tür wegtrat und langsam wieder auf sie zukam.
„Ja. Dann können Sie leichter tun, was auch immer Sie tun wollen.“
„Und was will ich tun?“ Das klang nur mäßig interessiert.
„Mich nach Baraka verschleppen.“
„Aha.“
Seltsamerweise klang dieses eine Wort unendlich verführerisch.Er blieb nicht weit von ihr entfernt stehen und lehnte sich an die Balkonbrüstung.
Im Dunkeln versuchte sie mithilfe des Mondlichts sein Gesicht und seinen Umriss auszumachen. In dem geisterhaft weißen Lichtschein erkannte sie glatte schwarze Augenbrauen, markant ausgeprägte Wangenknochen und ein starkes kompromissloses Kinn.
Diese Wangenknochen und das Kinn waren ihr vertraut. Viel zu vertraut, obwohl Jahre vergangen waren, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte.
Keira schloss die Augen. Sie wollte sich nicht erinnern, denn an der Erinnerung hingen zu viel Leid und Schmerz. Kein Traum sollte so abrupt zerbrechen, nicht auf diese Weise, nicht, wie sie es erlebt hatte.
Als sie die Augen wieder öffnete, war sie
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