Willkommen im Land der Liebe
ihres Vaters ein.
„Ich kann nicht glauben, dass du das ernst meinst“, sprudelte sie heraus, sobald er sich meldete. „Ich kann nicht glauben, dass du mir mit so etwas drohst. Ich habe nie in Baraka gelebt. Ich bin seit sieben Jahren nicht mehr dort gewesen …“
„Und doch bist du Barakanerin, ob du es willst oder nicht. Ich habe viel Geduld mit dir gehabt und dir erlaubt, dein Studium in den Staaten abzuschließen, aber nun ist es an der Zeit, dass du nach Hause kommst.“
„Baraka ist nicht mein Zuhause!“ Sie schaltete herunter und bremste, als der Verkehr zum Stillstand kam und die vierspurige Schnellstraße zu einem Meer aus roten Bremslichtern wurde.
„Du bist in Atiq geboren. Hier hast du deine Kindheit verbracht.“
„Bis ich vier war.“ Natürlich, sie war in der Haupt- und Küstenstadt Atiq zur Welt gekommen, aber sie war Engländerin, nicht Barakanerin. Und ihre Erinnerungen an Baraka waren die eines Gastes – Erinnerungen, die sie bei ihren alljährlichen Besuchen bei ihrem Vater gesammelt hatte.
Je älter sie geworden war, desto mehr hatte ihr vor diesen Reisen in jedem Sommer gegraut. Denn von Jahr zu Jahr gab es mehr Spannungen, weil sie langsam vom Kind zum jungen Mädchen heranwuchs. Jedes Jahr bedeuteten diese Besuche etwas weniger Freiheit, weniger Gelegenheiten, Kontakte zuknüpfen und zu pflegen – einfach sie selbst zu sein.
„Ich komme nie wieder zurück“, sagte sie jetzt auf Englisch, wechselte dann aber ihrem Vater zuliebe ins Arabische. „Ich würde eher sterben als zurückzukehren.“
Ihr Vater schwieg lange und sagte dann mit eiskalter und schneidender Stimme: „Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst.“ Und er legte auf.
Schon wieder.
Hätte er gewusst, wie seine Tochter ihre Freizeit verbrachte, wäre Omar al-Issidri sehr betrübt gewesen.
Scheich Kalen Nuri beobachtete die Gruppe schöner junger Frauen, die durch den dunklen Stadiontunnel zur Halbzeit hinaus auf das sonnige Spielfeld stürmte.
Aus den Lautsprechern ertönte Musik, und Kalen sah zu, wie die schönen Mädchen, die nur aus glänzenden Armen und Beinen zu bestehen schienen, ihren Formationstanz begannen. Sie trugen enge Tops, die verführerisch viel Haut zeigten und ihre perfekten Brüste zur Geltung brachten, dazu winzige weiße Shorts und kniehohe weiße Stiefel.
Kalens Blick wanderte über die Reihen der Blondinen, auf der Suche nach der Dunkelhaarigen in der hinteren Reihe, deren langes schwarzes Haar ihr bis zur Taille reichte. Keira al-Issidri. Omars Tochter.
Was würde Omar tun, wenn er wüsste, was seine Tochter hier vor sechzigtausend Zuschauern tat?
Keira al-Issidri war in ernsthaften Schwierigkeiten – in mehr als einer Hinsicht.
Obwohl es schon Ende September war, kam es Keira auf dem Spielfeld wie im Hochsommer vor. Unter der sengenden texanischen Sonne begann es sich in ihrem Kopf zu drehen, während sie auf dem Rasen tanzte. Sie spürte, wie ihr übel wurde. Doch das kam nicht von der Sonne, sondern von der erschreckenden Einsicht, dass sie ihren Vater nicht kannte. Und dass es – sollte er seine Drohung wahr machen – keinenOrt gab, an dem sie sich vor ihm verstecken konnte.
Ihr Vater hatte zu viel Geld und zu viele Beziehungen. Wenn er sie nach Hause holen wollte, würde ihm das auch gelingen.
Wegen eines Druckgefühls auf der Brust konnte sie nicht mehr durchatmen. So sehr Keira auch versuchte, sich auf die Tanzschritte zu konzentrieren, die Stimme ihres Vaters und die Erinnerung an seine Drohung ließen sich nicht vertreiben.
Stunden später lehnte sie am Balkongeländer einer schicken Dachwohnung und hielt ein Glas Wein in der Hand, aus dem sie nicht trank.
Weil sie nicht in der Stimmung war, mit Leuten zu plaudern, die sie nicht kannte, hatte sie eigentlich nicht mit zur Party gehen wollen. Aber einer der Eigentümer des Teams hatte sie eingeladen und ihr zugeflüstert, dass er einen wichtigen Gast habe und zu Ehren dieses Gastes auf ihre Anwesenheit hoffe.
Da er auch der Mann war, der ihren Gehaltsscheck ausstellte und sie sonst nie um etwas bat, hatte sie sich widerwillig auf den Weg zur Party gemacht.
Nun stand sie auf dem Balkon, der glücklicherweise dunkel war, und versuchte sich bei dem Blick über die Lichter von Dallas zu entspannen. Aber die Drohung ihres Vaters geisterte durch ihre Gedanken. Er hatte geschworen, sie nach Hause zu holen und zu dieser Heirat zu zwingen.
Was sollte sie nur tun? Wohin konnte sie gehen? Und vor allem: Zu wem
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