Willkommen im sonnigen Tschernobyl
veröffentlichen und kann zusehen, wie die Aufrufe in die Höhe schießen. Die Blacksmith-Liste war da keine Ausnahme. Der Bericht wurde in Magazinen und Zeitungen in der ganzen Welt aufgegriffen.
Doch da das Wichtigste an egal welcher Liste ist, wer oder was ganz oben steht, konzentrierte sich ein Großteil der Berichterstattung auf Linfen, das den ersten Platz belegte. Augenblicklich war die Stadt als der dreckigste Fleck Erde verrufen. (Nicht umsonst halte ich diesen Bericht für die ursprüngliche Quelle des Fotos vom traurigen Kohlekumpel.) Und darauf beruht seither der Ruf der Stadt und ein Artikel nach dem anderen wird darüber verfasst, dass Linfen die am stärksten verschmutzte Stadt der Welt ist, war oder vielleicht eines Tages wieder sein wird. Aus diesem Grund habe ich von Linfen erfahren und deshalb war ich nun dort.
Es gab jedoch ein Problem mit der Liste.
Das war nicht die Schuld des Blacksmith Institutes. Die Verfasser des Berichts waren sich durchaus im Klaren, dass es eigentlich unsinnig war, eine Liste mit den zehn meistver schmutzten Orten zu erstellen. Es war dieselbe Widersinnigkeit, auf die ich stieß, als ich mich daran machte, die Ziele für dieses Buch auszuwählen. Nach welchen Kriterien sollte ich vorgehen? Gesundheitliche Folgen? Beitrag zum Klimawandel? Reine Scheußlichkeit? Der Fokus des Instituts – industrielle Umweltverschmutzung mit starken Auswirkungen auf die Bevölkerung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkom mensniveau – war klarer als meiner. Aber selbst in dieser Nische führt die Entscheidung, ob die Verstrahlung in der Sperrzone besser oder schlimmer ist als der Smog in Linfen, letztendlich zu nichts. Das würde bedeuten, Cäsium-Äpfel mit Kohlenstoff-Birnen zu vergleichen.
Um dem Rechnung zu tragen, tat das Blacksmith Institute etwas sehr Vernünftiges: Es stellte keine Rangfolge der gelisteten Städte auf. Der Bericht erwähnt das ausdrücklich: »Es war unrealistisch, [die Orte] in eine endgültige Reihenfolge von eins bis zehn zu bringen.«
Deshalb wurden sie nach Ländern geordnet. Alphabetisch.
Das fiel jedoch niemandem auf. Solche Unterscheidungen entsprechen nicht dem Wunsch des Lesers, zu erfahren, wer den Spitzenplatz belegt. Und so zog Linfen den schwarzen Peter … Nur weil das C in China im lateinischen Alphabet ganz am Anfang steht.
Was auch niemand bemerkte war, dass Blacksmith Linfen nur als ein Beispiel von vielen verstanden wissen wollte. »Linfen steht in den Top Ten als Beispiel für stark verschmutzte Städte in China«, heißt es in dem Bericht. »Was die Luftqualität anbelangt, schätzt die Weltbank, dass sich 16 der zwanzig problematischsten Städte der Welt in China befinden.«
Zeigen Sie also ein wenig Mitgefühl mit den Einwohnern Linfens, das, statt eine von zehn oder eine von 16 Städten zu sein, die Goldmedaille nun ganz allein tragen muss. Die russische Stadt Norilsk, ebenfalls auf der Liste, entging dem Ansturm schlechter Presse, bloß weil R weit nach C folgt.
Gut möglich, dass Linfen sich seitdem verbessert hat. Das Blacksmith Institute äußert sich neuerdings nicht mehr zu dem Thema. Nach einigen Jahren wurde ihm klar, dass Futter für Sensationsschlagzeilen zu liefern – und Lokalregierungen und Industrie noch mehr zu verstimmen – nicht in seinem strategischen Interesse lag. Es ging dazu über, Schadstoff probleme statt schadstoffbelastete Städte aufzulisten. Aber der Taxifahrer hatte recht. Auf der Liste von 2007 belegte Linfen nicht mehr Platz eins. Es hatte die Spitzenposition an irgendeinen Ort in Aserbaidschan verloren.
*
Linfen ist von Kohle regelrecht durchdrungen. Sie heizt die Öfen von Kraftwerken und Einfamilienhäusern. Als Koks ist sie der Brennstoff für das riesige Stahlwerk im Osten der Innenstadt, ein Märchen industrieller Macht und das Letzte, was ein Amerikaner mitten in einem Wohngebiet erwartet. Unsere eher unmethodischen Versuche, in diese stahlkochende Stadt innerhalb einer Stadt hineinzuschlendern, wurden gleich am Tor ausgebremst, aber die Wachmänner waren immerhin so nett, Cecily die Toilette hinter dem Kontrollpunkt benutzen zu lassen. (Ich empfehle, eine Café-Toilette zu suchen – die der Wachtposten ist laut Cecily »ekelhaft«.)
Wir wanderten am Rand der Anlage entlang, durch ein dicht bevölkertes Viertel, das deutlich ärmer war als die Gegend um den Trommelturm herum. Ein paar Jungen mit Plastikfeuerwaffen eskortierten uns.
»Woher kommt er?«, fragten
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