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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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namens Jun. Wir hatten seine Neugier geweckt. An jenem Tag hatte er niemanden, der mit ihm Mittagessen ging, daher lud er uns ein. Mir fiel auf, dass er einen Nissan fuhr.
    Er verdiene noch nicht genug für einen Audi, erklärte er.
    Wir aßen beim Unternehmerverband von Taotang, einem reich verzierten Wunderland für die Plaudereien der leitenden Angestellten. Es war ein Neubau auf einem Gelände unweit des Yao-Tempels mit dem Hua-Tor und neben dem Bauplatz für ein riesiges Einkaufszentrum. Wir gingen durch ein Gewirr aus Innenhöfen und Korridoren zu einem kleinen Ballsaal mit Bühne und schließlich in ein Separee, in dem ein großer, runder Tisch mit Drehteller stand.
    Jun bestellte großzügig, ohne auf die Karte zu schauen, und bald standen ungefähr 15 Gerichte auf dem Tisch, darunter Foie gras, Kaninchengeschnetzeltes mit Kohl, Tofu, frittierte Teigtaschen, Knoblauchbrokkoli und etwas, das Cecily als »spezialisierte Nudeln« übersetzte.
    Jun war 28, er hatte ein aufmerksames Gesicht und sein drahtiges Haar stand ihm vom Kopf ab. Er griff beim Essen nur maßvoll zu, dazwischen rauchte er. Die Konversation wurde durch das Klingeln seiner zwei Handys – eines weiß, das andere schwarz – in kurze Sequenzen zerteilt. Manchmal verließ er zum Telefonieren den Raum. Das weiße Handy war für normale Anrufe, das schwarze für seine wichtigsten Kunden. Die Anrufe auf dem schwarzen nahm er 24 Stunden am Tag entgegen.
    Der Kerl war nicht zu bremsen. »Autoverkäufe beruhen auf persönlichen Beziehungen«, erläuterte er und gab dem Plattenteller einen Schubs, sodass sich die Foie gras direkt vor meiner Nase befand.
    Er sagte, im Verkauf müsse man die Perspektive des Käufers einnehmen, seine Bedürfnisse vorausahnen und sein Freund werden. Dann kämen sie zu dir, wenn sie ein Auto kaufen wollten. »Der Wettbewerb ist hart. Da gewinnt man nicht durch den Preis, sondern durch persönliche Beziehungen.«
    Er war Automechaniker, arbeitete nun aber seit vier Jahren als Verkäufer.
    »Ihre Fürsorge gilt also nicht mehr dem Auto, sondern dem Kunden«, witzelte ich.
    Er nickte. »Das stimmt.«
    Es gab nichts, was Jun nicht für seine Kunden täte, sei es, dass er ihnen bei persönlichen Angelegenheiten half, Besorgungen für sie machte oder ihnen sonst einen Gefallen tat. Einem Kunden hatte er Aktien empfohlen – und versprochen, ihn zu entschädigen, sollte er durch diese Anlage Verluste erleiden. Einen anderen einflussreichen Kunden musste er beruhigen, als der betrunken tobte, nachdem ein Verwandter von ihm einige kleinere Verletzungen erlitten hatte, die einem defekten Audi-Airbag zugeschrieben wurden. Viele seiner Kunden waren unhöflich, sagte Jun. Doch egal wie dreist sie wurden, er selbst durfte nicht die Beherrschung verlieren. Letztendlich vertrauten ihm die unverschämtesten am meisten, weil er ihr Verhalten mehr tolerierte als irgendjemand sonst.
    Der wichtigste Teil seines Jobs war jedoch, unablässig zu rauchen, zu essen und zu trinken. Er trank und rauchte nun viel mehr als vorher. In Shanxi ginge nichts ohne Trinken, sagte er. Es war ein harter Job, den seine Familie nicht mochte.
    Irgendwie hatte das Gespräch eine neue Wendung genommen. Plötzlich erzählte Jun nicht mehr davon, wie gut er die Persönlichkeit derber Kohlemanager im Griff hatte, sondern wie deprimiert er war.
    Er habe im Internet einen Test gemacht. Ab fünfzig Punkten sei man depressiv. Er hatte achtzig erreicht.
    Jun stand sehr unter Druck, sagte er. Er wollte weiterhin ein Gehalt verdienen, das fünfmal so hoch war, wie das, was er sich für die Zeit nach seinem Abschluss erhofft hatte – er hatte sogar ein Haus für seine Eltern gekauft –, war aber zu beschäftigt, um sein Leben zu genießen. Er konnte nicht entspannen. Er hatte keine Zeit, sich zu verabreden und verlor allmählich seine Freunde. Sie glaubten, er würde sie meiden, weil er sich wegen seines Gehalts für etwas Besseres hielt, aber so war es nicht. Er hatte einfach viel zu tun. Die einzigen Menschen, mit denen er sich ernsthaft austauschte, waren Onlinebekanntschaften, die er nie persönlich getroffen hat.
    Gern hätte er einen Plan für die Zukunft gehabt, wollte heiraten. Aber er hatte keine Zeit, an sich zu denken, an einen »Plan für sich selbst«. Nur nachts konnte er über solche Dinge nachdenken. Oder im Schlaf.
    Er steckte sich noch eine Zigarette an. Immerhin wusste er, wenn er das Autogeschäft verließ, würden ihm seine Kontakte, die er in Linfen

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