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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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aufgebaut hatte, dennoch nützen, egal was er dann tun sollte – Beziehungen waren nicht nur beim Audi-Verkauf entscheidend.
    Ich wollte eine Audienz, wollte mit einem der Kohleprinzen von Shanxi rauchen, essen und trinken. Jun sollte mir helfen, Zugang zur Spitze der Nahrungskette zu bekommen.
    Doch er schüttelte den Kopf und lächelte schwach. »Diese Leute zu treffen, ist nicht möglich«, sagte er. Dann bekam er die Rechnung und wir standen auf. Bevor wir gingen, nahm ich noch einen Bissen von dem Kaninchengeschnetzelten. Man muss das Jahr essen, bevor es einen auffrisst.
    *
    Am nächsten kam ich einem Kohleboss in Form von Liu, dem Fahrer, der uns in Yuncheng am Flughafen abgeholt und nach Linfen gefahren hatte, und den wir danach noch mehrere Male engagierten. Er war ein Mann mittleren Alters mit schläfrigem Gesichtsausdruck und einem schiefen Lächeln und besaß gemeinsam mit seiner Familie ein eigenes Kohlebergwerk. Bis zu den jüngsten massenhaften Schließungen und Fusionen war die Provinz mit kleinen, illegalen Stollen gespickt gewesen.
    »Wir hatten zwanzig Arbeiter«, sagte Liu. »Alles wurde von Hand erledigt. Aber dann wurde das Bergwerk geschlossen. Wir haben im Grunde nichts damit verdient.«
    Wir drängten ihn nicht. Ich weiß nicht, welche Geschichte Cecily ihm erzählt hatte – verirrter Psychiatriepatient vielleicht? –, aber sehr wahrscheinlich war Lius Bergwerk illegal und Cecily glaubte, er könne leicht misstrauisch werden.
    Ich mochte Liu. Er war zuvorkommend – und lustig, auch wenn Cecily seine Witze nie übersetzte –, und obwohl er sich etwas bedeckt hielt, was seine gescheiterte Karriere als Kohleboss anging, war er doch immer noch abenteuerlustig. Heute brachte er uns in die Berge, als ungeladene Gäste eines Kohlebergwerks.
    Wir verließen Linfen in westlicher Richtung. Es schien ein sonniger Tag zu sein, auf dem Boden waren gelegentlich Mus ter, die entfernt an Schatten erinnerten. Die Sicht war viel besser als zuvor und der Himmel über uns nahezu blau.
    »Sieh mal«, sagte ich zu Cecily. »Blauer Himmel.«
    Sie schaute nach oben.
    »Das ist kein Blau«, antwortete sie. »Das ist Grau.«
    Aber auch als ich ein zweites Mal hinsah, war ich mir ziemlich sicher, dass es Blau war. Verglichen mit dem trüben Braungrau am Horizont war es eindeutig bläulich.
    Cecily schüttelte den Kopf. »Ich kenne dich. Du magst eben verschmutzte Städte.«
    Wir hatten den Fluss überquert und fuhren nun an kleinen Feldern vor der Stadt vorbei. Der Smogvorhang öffnete sich und ein blau-weiß gestreifter Schornstein ragte vor uns auf. Das war Linfen Thermo Electron, ein riesiges Kohlekraftwerk.
    Sein plötzliches Auftauchen aus dem Dunst passte zu der Geschwindigkeit, mit der Kohlekraftwerke in China gebaut wurden. Je nachdem, wen man fragt, erweitert China jede Woche, alle vier oder alle zehn Tage sein Netz um ein Kraftwerk. Als wir am Tor der Anlage vorbeifuhren, bekamen diese Zahlen eine irrsinnige Aussagekraft. Thermo Electric war eine massive, hoch aufragende Festung mit Wänden aus blauem Metall, die in der Sonne geglänzt hätten, hätte sie geschienen. Und das war nur eines von unzähligen Kraftwerken, die über all im Land wie Pilze aus dem Boden schossen. Genug, um ganz China mit Strom zu versorgen. Genug, um alle fossilen Brennstoffe zu verbrennen, die bisher nicht verbrannt wurden.
    Bei so vielen Kohlekraftwerken hatte die chinesische Regie rung Schwierigkeiten, den Industriezweig ausgeglichen zu halten. Eine rekordverdächtige Nachfrage führte zu Preissteigerungen – doch die chinesische Regierung zögerte, die Ener giekonzerne die erhöhten Kosten an die Verbraucher weiterreichen zu lassen. Daher beschlossen die Produzenten einfach, weniger Energie zu produzieren, selbst als die Kohle in rauen Mengen gefördert wurde. In diesem Frühling sollte es einen der schlimmsten Stromengpässe seit Jahren geben.
    Gleich hinter der Anlage ging die Ebene in nackte, zerklüftete Felsen über. Ein Tempel war in eine Felswand eingebettet, eine baufällige Burg mit einer nach unten führenden Treppe.
    Hinauf in die Berge. Wir kamen an Dörfern vorbei, wo die Häuser aus Bergwänden herausgehauen worden waren, felsige Nischen mit Ziegelsteinmauern, die Platz für nur eine Tür und ein Fenster ließen. Davor türmte sich die Kohle. Schwarzer Rauch qualmte aus den horizontal herausragenden Schorn steinrohren. Kohlelastwagen rumpelten an uns vorbei und stan den vor Häusern und Werkstätten. Ich

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