Willkommen im sonnigen Tschernobyl
sie.
»Amerika.«
»Wie lange reist ihr schon?«
»Drei Jahre«, sagte Cecily.
Mehr als für die Kohle selbst ist die Provinz Shanxi wohl für ihre Kohlebosse bekannt, eine Klasse Neureicher, deren Wohlstand mit dem Boom der chinesischen Wirtschaft astronomische Höhen erreichte. Sie waren berühmt für ihre Kaufwut, tauchten in Peking auf und kauften alles: die teuerste Uhr, das teuerste Auto – Futter für den konsumfixierten Lebensstil der Bosse. Ich hatte eine – vermutliche erfundene – Geschichte gehört von einem Kohleboss, dem ein Wohnhaus gefiel, das in Peking gebaut wurde, und der alle Wohnungen auf der Südseite gekauft haben soll. Cecily erzählte, dass ihre Freundinnen Witze darüber machten, einen Kohleboss zu heiraten, offenbar so wie junge Amerikanerinnen darüber scherzen, sich einen Investmentbanker oder Hedgefonds-Manager zu angeln.
Ich nehme an, die Kohlebosse personifizieren bestimmte Ängste in Bezug darauf, wie der Kapitalismus China verändert. Sie waren eine absurde Übertreibung des Konsumismus, der auch in der Mittelschicht um sich griff. Und, schlimmer noch, der Reichtum der Kohlebosse war durch Ausbeutung in einer gefährlichen und oft illegalen Branche entstanden. Chinas Kohlebergwerke waren berüchtigt für ihre Einstürze und Explosionen, die weitaus mehr Menschenleben kosteten als in den Bergwerken irgendeines anderen Landes.
Doch das goldene Zeitalter der Kohlebosse von Shanxi neigte sich dem Ende zu. Die Regierung hatte Tausende Kohlebergwerke zusammengelegt oder geschlossen, um die Effizienz und Sicherheit zu erhöhen. Und die Zukunft der Kohleindustrie lag in weniger entwickelten Provinzen wie der Inneren Mongolei, wo noch riesige Vorkommen im Erdboden warteten.
Linfen ist eigentlich nicht die Stadt der Kohlebarone; wie ich gehört habe, bevorzugen sie die Provinzhauptstadt Taiyuan. Aber auch in Linfen spielt Luxus in der Wirtschaft eine Rolle. Zum Beispiel beim Audi-Händler – das Autohaus war ein auffälliger Kasten mit Gittermuster, in dem sich ein gepflegter, museumsähnlicher Ausstellungsraum befand.
»Die meisten unserer Kunden sind von den Kohlebergwerken«, sagte ein junger Verkäufer namens Yanlin. Damit meinte er natürlich nicht die Kohlekumpel. Die Industriellen mochten Audis, erklärte er. Führungskräfte aus dem Kohle- und Metallbergbau und von den Kokereien kamen her, um Autos zu kaufen.
»Eine Marke wie Mercedes erregt zu viel Aufmerksamkeit«, sagte Yanlin. »Audi sei ein gutes Auto, hohe Qualität, aber nicht so protzig. Ein Audi zeigt, dass sie Chefs sind, aber auf eine etwas zurückhaltendere Art.«
Ein Audi ging ohne Weiteres für zwei Millionen Yuan – dreihunderttausend Dollar weg. Und die Verkaufszahlen waren immer noch beachtlich, selbst nach den jüngsten Fusionen in der Kohleindustrie.
Yanlin schienen die Fragen langsam ein wenig nervös zu machen, also dankten wir ihm und durchstreiften den Ausstellungsraum. Mich zogen weniger die Autos selbst an, als die Schaukästen mit Audi-Accessoires: Lederportemonnaies und Aktentaschen, Stifte, ein oder zwei iPod-Hüllen – auf alle war das Audi-Emblem mit den vier Ringen geprägt. Auf dem kleinen Werbeschild für eine Handtasche stand auf Chinesisch: »Diese Handtasche ist ein Wunder.«
Ein Paar Manschettenknöpfe fielen mir ins Auge. Darauf war das Logo des Audi R8, eines Supersportwagens, eingraviert: ein kleines, glänzendes Schachbrett aus Carbon. Das nahm wahrscheinlich Bezug auf die Kohlenstofffaserkomponenten, die in den Autos verwendet wurden, aber hier, im Land der Kohle, bekamen die Manschettenknöpfe noch einmal eine ganz besondere Bedeutung.
»Jeder sollte seinen eigenen Stil haben«, las Cecily auf dem Schild. »Diese Manschettenknöpfe zeugen von Geist und Geschmack. Hergestellt aus echtem Carbon und Edelstahl.«
Fuhren die Kohlebosse mit Manschettenknöpfen aus Kohlenstoff herum? Das war zu gut, um wahr zu sein, aber einer der Verkäufer versicherte uns, es sei so. Er erzählte uns auch von den gesundheitsfördernden Wirkungen der Manschettenknöpfe – der Kohlenstoff darin absorbiere Schadstoffe. Aber diese bekloppte Theorie fand ich weniger interessant als die Idee, die Manschettenknöpfe könnten so etwas wie der Freimaurerring für diesen Männerbund sein, der uns half, den Klimawandel zu besiegeln. (Sie können auf der Audi-Website Ihre eigenen Manschettenknöpfe für 169 Dollar bestellen.)
Der Leiter des Kundenservices in diesem Audi-Autohaus war ein junger Mann
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