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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Chinesen« mit 32 vergoldeten Statuen des einen oder anderen Kaisers, Seefahrers oder Erfinders, alle uralt, aus einer Zeit zwischen Geschichte und Mythologie.
    Im Zentrum des Raums befand sich eine durchsichtige Halbkugel, auf deren Glasfläche etwas schwebte, das aussah wie die Umrisse von sieben Kontinenten. Erst nach einer Weile begriff ich, dass es nicht sieben Kontinente waren, sondern sieben Chinas aus verschiedenen Dynastien, die nun ungehindert durch andere Länder die Erdhalbkugel einnahmen.
    Der nächste Saal beherbergte die Statuen von 32 berühmten chinesischen Frauen. Sie wurden von stimmungsvollem blau-rosa Licht beschienen. Cecilys Augen wanderten von einer zur anderen, als würde sie sich fragen, ob hier wohl auch noch Platz für sie war.
    In der Mitte des Raums lag eine sechs Meter große, beeindruckende nackte Figur: Nu Kua, die Göttin, die die Menschen erschuf. Ihre Geschöpfe tollten um sie herum und sahen aus wie absonderliche kleine Goldbabys, die, wie mir schien, nichts Gutes im Schilde führten.
    *
    Auf der Tour durch die Außenbezirke der Stadt hielten wir an, damit ich Fotos von den Plakatwänden machen konnte. Es gab Werbung für Geländewagen, Lkws mit 16 Reifen und sogar Kohlelastwagen. Meine Aufmerksamkeit hatten jedoch einige Anzeigen für die Stadt erregt. Auf einer war der Trommelturm unter einem verdächtig blauen Himmel zu sehen. Das Plakat daneben zeigte eine idyllische Wiesenlandschaft mit flatternden Tauben. In der Ferne waren die Gebäude der Stadt auszumachen, im Vordergrund saß ein Marienkäfer auf einem mit Photoshop bearbeiteten Blatt. Darüber strahlte die Sonne. Es ist immer wieder nett, Propaganda zu entdecken, die wie eine Farce wirkt.
    Über das Bild erstreckte sich ein Schriftzug: LIEBE LINFEN. SCHÜTZE DIE UMWELT. SORGE FÜR DAS IMAGE DER STADT.
    »Arbeitet er für die Umweltschutzbehörde?«, fragte der Taxifahrer.
    »Nein«, antwortete Cecily, und darüber war ich froh.
    Der Fahrer war ein pfiffiger junger Mann, der gerne redete. »Ich habe gehört, dass ausländische Medien Linfen zur Stadt mit der stärksten Umweltverschmutzung erklärt haben. Das war peinlich«, sagte er. »Macht er deshalb Fotos von den Anzeigen? Für die Olympischen Spiele legten sie viele Kohlebergwerke und andere umweltbelastende Fabriken still, deshalb ist es jetzt schon besser.« Linfen stehe nicht mehr auf Platz eins der Umweltsünderstädte.
    Cecily fragte ihn, wer ihn stattdessen belege. »Das weiß ich nicht«, antwortete er. »Ist auch egal, Hauptsache, nicht wir.«
    Fünf Jahre zuvor war Linfen zum ersten Mal zur Stadt mit der schlimmsten Umweltverschmutzung der Welt erklärt worden. Das New Yorker Blacksmith Institute, ein Non-Profit-Unternehmen, das sich dem Kampf gegen Schadstoffbelastung in Entwicklungsländern gewidmet hat, erstellte die Rankings. Auf ihrer Website schreibt die Organisation, dass durch jahrzehntelangen Aktivismus und Umweltgesetze die »grobe Umweltverschmutzung« als akutes Problem in Ländern wie den USA stark zurückgegangen sei. Doch in den Entwicklungsländern – für die meisten Menschen der westlichen Hemisphäre aus den Augen und aus dem Sinn – haben über hundert Millionen Menschen immer noch unter den gesundheitsschädigenden Folgen von ungezügelter industrieller Verschmutzung und Giftmüll zu leiden. Die Mission des Blacksmith Institutes ist es, Orte zu lokalisieren, an denen durch konkrete Veränderungen viel für die Gesundheit zahlreicher Menschen getan werden könnte. Darüber hinaus stellt die Organisation Zuschüsse und weitere Unterstützung für Partner vor Ort bereit, die bestimmte Probleme angehen.
    Die Veröffentlichung des ersten Blacksmith-Berichts 2006 sollte dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf entsprechende Regionen zu richten. Die Liste trug den Titel The World’s Worst Polluted Places (Die Orte mit der weltweit schlimmsten Umweltverschmutzung) und bot einen genauen, mit Daten unterfütterten Überblick über Orte, wo die Umweltverschmutzung gravierende Auswirkungen auf den Alltag hat – Auswirkungen, die verringert werden könnten, wenn sich irgendjemand darum kümmern würde.
    Was den PR-Effekt angeht, war die Liste ein Geniestreich. Die Leute sind ganz versessen auf Top-Ten-, Top-Five-, Top-One-Hundred-Listen, Listen in beliebiger Länge. Jeder, der für seine Website Besucher anziehen möchte, braucht nur einen Artikel mit einer Überschrift wie »Die sieben am schamlosesten flirtenden Basketballspieler« zu

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