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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Antriebsrad hin.
    Mittlerweile hatte ich die Geste perfektioniert: eine zögerliche Bewegung zwischen Nicken und Kopfschütteln.
    »Zum Teil«, sagte ich.
    Um uns die Zeit zu vertreiben, bis etwas passierte, gingen Cecily und ich die Straße hinauf, die über den Abraum führte, mit dem das Tal zum Teil angefüllt war. Dort genossen wir, begleitet von zwei Männern mit starkem Shanxi-Akzent, die Aus sicht über den Bergbaubetrieb: rechts die Unterkünfte, links der Tunnel und dahinter der Trichter und das Fließband, das die Kohle von wertlosem Gestein trennte.
    Einer unserer Begleiter, ein Mann in den Dreißigern mit rosigen Wangen, erzählte uns, er leite das Sprengstofflagerhaus. Vorher hatte er unter Tage gearbeitet und mehr verdient. Cecily fragte ihn nach seinem Gehalt und meinte, im Vergleich zu dem, was ein Hochschulabsolvent in Peking erwarten konnte, schnitt er gut ab.
    Mir erschien es bezeichnend für die Sicherheit im Bergwerk, dass jemand lieber weniger verdiente und mit Sprengstoff arbeitete als unter Tage.
    »Es ist schon besser als früher«, sagte der Mann. »Aber besonders sicher immer noch nicht.«
    Unser zweiter Begleiter war ein älterer Herr, der sagte, er habe mehrere Jahrzehnte im Bergwerk gearbeitet. Nun war er in Rente.
    »Bis in die 1980er-Jahre taten wir alles von Hand. Die Arbeit war hart. Jetzt ist es viel besser, mit all den Maschinen.«
    »Mochten Sie die Arbeit?«, fragte ich. »War sie gut?«
    »Sie war hart. Ob ich sie mochte, spielt keine Rolle.«
    Ob er die Arbeit gemocht hatte oder nicht, nun verbrachte er jedenfalls seinen Lebensabend hier. Seine Kinder arbeiteten im Bergwerk und er sah keinen Grund, wegzuziehen. Er lächelte, als er über die Anlage blickte, und nicht zum ersten Mal kam mir in den Sinn, dass es mehr als eine Art von Gesundheit gab.
    Der Sprengstoffmann brach den Bann. »Warum seid ihr hergekommen?«, wollte er wissen und lachte. »Hier ist doch alles schwarz und schmutzig!«
    Als wir wieder auf dem Fördergelände waren, stand ich ziemlich lange – mir kam es vor wie Stunden – neben dem Tunneleingang und rauchte. Dann lag ich auf einem Wellblechstapel in der Sonne, rauchte wieder und fragte mich schließlich, ob überhaupt je irgendetwas geschehen würde.
    Das Mundloch des Tunnels bestand aus Wänden und einer Decke aus Metall, vorne am Eingang war ein Schild mit zwei goldenen Schriftzeichen befestigt, am Boden befanden sich Schienen, die steil hinabliefen, weg vom Tageslicht, zu einem tiefer gelegenen, älteren Loch, einem aus dem Stein gehauenen Eingang, und dann in der Erde verschwanden. Natürlich war es ein Tunnel, aber nachdem ich eine Stunde hineingestarrt hatte, kam ich zu dem Schluss, dass dort unten in Wahrheit eine Höhle sein musste.
    Wieder versuchte ich, dem Kerl neben mir eine Zigarette anzubieten, wieder war ich zu langsam und wieder nahm ich eine von ihm an.
    Dann war ein Geräusch zu hören, ein Knirschen bloß, das Seil spannte sich und der Mann, dessen Zigarette ich rauchte, stellte sich an die Schienen. Das Knirschen wurde immer lauter und alle wurden plötzlich etwas aufmerksamer.
    Und schließlich dröhnte es aus dem Tunnel und fünf Förderwagen schossen aus dem Mundloch. Ich verspürte den Drang, zur Seite zu hechten, obwohl ich gar nicht im Weg stand. Der Mann auf den Schienen – der tatsächlich im Weg stand –, glitt auf den ersten Wagen, so beiläufig, als spränge er auf eine Straßenbahn. Er griff mit lässiger Präzision nach unten und entfernte einen dicken Metallstift, um das Drahtseil zu lösen. Die Wagen beförderten ihn blitzschnell rückwärts vom Tunneleingang weg, und als sie an mir vorbeikamen, sah ich sie. Die Kohle. Jeder Wagen war bis zum Rand mit den glänzenden, pappigen Haufen gefüllt, von denen ab und zu kleine Brocken herunterfielen.
    Der Mann, der das Seil gelöst hatte, sprang herunter und ein anderer Mann trat an seine Stelle. Auch er warf einen Stift fort und löste die Verbindung zwischen dem ersten Wagen und den nachfolgenden. Die Stifte fielen mit einem dumpfen Scheppern auf den schwarzen Boden. Ein weiterer Arbeiter hatte einen Klotz auf die Schienen gelegt, um die nächsten Wagen auszubremsen, und nun glitt der erste Mann frei mit seinem Wagen über einen weiten Schienenbogen bis zum Trichter, wo wieder ein Arbeiter wartete, ebenfalls mit verschmiertem Gesicht, Jacke und Pullover, Arbeitshandschuhen und -hosen – alles war kohlschwarz. Der erste Mann sprang genau in dem Augenblick vom Wagen,

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