Willkommen im sonnigen Tschernobyl
nach den Bäumen, Flüssen und Enten fragte.
Gegen Ende des Rundgangs, an einsamen Tafeln über Verantwortung für die Umwelt und die Zukunft sauberer Energie und anderem langweiligen Kram vorbei, fand ich einen bunten Bereich, teilweise von einem Raumfachwerk aus Metallstangen abgeschirmt. Kinderstühle und -tische standen in der Mitte, ringsherum befand sich eine Garderobe mit Schutzhelmen und Overalls zum Ausleihen für die kleinen Ölsandingenieure von morgen.
Ich ignorierte, dass ich augenscheinlich etwas aus der Zielgruppe fiel, und stürmte hinein, spielte kurz mit dem Ausstellungsstück genannt: PUMPE! – einer Wand mit durchsichtigen Plastikröhren, Ventilen und einer Kurbel, an der man drehen konnte –, und beschäftigte mich dann eine Weile mit den zwei Spielzeugbaggerschaufeln und einem Trog voller Pseudoölsand bei der Aktivität: GRABE!
Nicht schlecht!
Der letzte Abschnitt im sogenannten PlayLab war RATE MAL! , der viele drehbare Tafeln mit Fragen auf der einen und Antworten auf der anderen Seite zeigte. Irgendein Ausstellungsmacher war wohl beunruhigt, weil das übrige PlayLab so viel Spaß machte, und hatte seinem Oberlehrertrieb nachgegeben. Ich las die erste Tafel.
Bitumen ist ein sehr einfaches Molekül. Richtig oder falsch?
Ist doch klar! Hier geht’s immerhin um Kohlenwasserstoffe. Falsch. Nächste Frage.
Ölsand ist wie ein Sandwich. Richtig oder falsch?
Äh, richtig?
Richtig. Ganz oben ist der Abraum, Ölsand bildet die klebrige Füllung und die untere Schicht ist Kalk. Lecker!
Ich hatte den Spielbereich nicht mehr für mich allein. Ein älteres Paar war hereingekommen und versuchte sich nach einem flüchtigen Blick auf die Schaufeln an der Pumpe. Ich wandte mich wieder RATE MAL! zu.
Wer ist verantwortlich für den Umweltschutz: a) die Regierung, b) die Ölsandunternehmen, c) jeder?
Da war er wieder, der rechtfertigende Ton. Ich musste die Tafel nicht umdrehen, um zu wissen, was ich antworten sollte. Die Frage war eher, ob hier tatsächlich Kinder das Zielpublikum waren.
*
Der Highway nördlich von Fort McMurray ist zu klein für die Tausenden von Beschäftigten, die jeden Tag zur Arbeit fahren, deshalb herrscht dort besonders bei Schichtwechseln oft ein fürchterlicher Verkehr. Aus diesem Grund mieten die Ölsandgesellschaften Busse, mit denen die Arbeiter zur Schicht und zurück in die Stadt gefahren werden. Die allgegenwärtigen rot-weißen Busse von Diversified Transportation bevölkern den Highway in Scharen. Dass eine Branche, die teilweise für Kanadas Verfehlung seiner Emissionsreduktionsziele verant wortlich ist, ein florierendes Fahrgemeinschaftenprogramm be treibt, ist nur eine von vielen hübschen Ironien, die einen hier anspringen.
Die Suncor-Bustour startet vor dem Oil Sands Discovery Centre – gerade noch Zeit für eine kurze Kostprobe Schaufeln und Schnuppern – in einem der besagten, zu touristischen Zwe cken umgewidmeten, Diversified-Busse. Mindy, unsere muntere Führerin tauchte plötzlich vorn auf und forderte uns auf, uns anzuschnallen. »Sicherheit hat bei uns oberste Priorität«, sagte sie. Der Fahrer trat aufs Gas und los ging’s in die offene Wunde des größten Erdöllagers der Welt wie in einen Freizeitpark von den Universal Studios. Was für gefährliche Klippen und gewaltige Maschinen hielt der Tag wohl für uns bereit?
Der Bus war fast bis auf den letzten Platz gefüllt, hauptsächlich mit Familien und Senioren – Menschen, die wirkten, als hätten sie schon einige Reisebusse von innen gesehen. Vier alte Damen kicherten wie bei einer Samstagabendspritztour. Neben mir saß ein gewisser Herr Ganapathi, ein alter Inder mit einem einzigen, verdrehten Zahn, der ihm aus dem Unterkiefer ragte.
»Sind Sie verheiratet?«, wollte er wissen.
»Nein«, antwortete ich. Aber ich dachte an die Frau Doktor. Eigentlich keine schlechte Idee.
Wir fuhren am östlichen Rand des großen Absetzbeckens vor Syncrude vorbei.
»Sind hier die ganzen Enten gestorben?«, fragte ein Mann seine Frau.
»Oh, was für einen Ärger wir wegen dieser Enten hatten!«, sagte sie.
Es hatte tatsächlich noch eine Menge Ärger gegeben. Die Regierungen von Kanada und Alberta hatten beschlossen, Syncrude strafrechtlich verfolgen zu lassen, weil das Unternehmen keine Maßnahmen ergriffen hatte, die Enten von dem Absetzbecken fernzuhalten. Syncrude plädierte auf nicht schuldig und beschwerte sich, zu Unrecht angeklagt worden zu sein, für etwas, das ein Fehler, aber kein
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