Willkommen im sonnigen Tschernobyl
›schmutzigen Öl‹ kommt von Lobbygruppen der Saudis.«
»Die Enten«, sagte Adam nur und machte die Verschwörungstheorie komplett.
Colleen schnaubte. »Ja, fuck! Es gibt so viel Wichtigeres. Ganz normalen Hausmüll zum Beispiel!«
*
Jeder, der sich einen Tag vorher im Tourismusbüro von Fort McMurray anmeldet und gut vierzig Dollar berappt, kann eine Bustour zu den Ölsanden machen. Eine Ölsandbustour – kann man sich etwas Schöneres vorstellen? Da hat endlich mal jemand begriffen, welches Potenzial im Umweltverschmutzungstourismus steckt. Ich meldete mich an.
Da die Tour erst am nächsten Morgen stattfand, musste ich einen einsamen Nachmittag totschlagen. Ich rief meine Freundin an. Frau Doktor. Sie weiß immer, was in solchen Situationen zu tun ist. Sie hat einen ungewöhnlichen gesunden Menschenverstand, der auch damit zurechtkommt, dass jemand es für eine gute Idee hält, durch Ölsandabbaugebiete und Schauplätze von atomaren Katastrophen zu streifen.
»Denk dran«, sagte sie am Telefon, »du bist im Urlaub.«
Stimmt! Ich war ein Tourist. Normalerweise müssen die Industrieschandflecken und Umweltkatastrophenorte der Welt ohne Souvenirläden und Informationszentren auskommen, aber Fort McMurray ist in dieser Hinsicht ausgesprochen fort schrittlich. Ich ging also zum Oil Sands Discovery Centre, einem familienfreundlichen Museum über die Industrie vor Ort.
Das Oil Sands Discovery Centre ist eine der besten Industriepropagandamaßnahmen der Welt. (Das ist als Kompliment gemeint. Probieren Sie doch mal, eine Werbebroschüre für Mordor zu schreiben.) Der Souvenirladen ist ein gewöhnlicher Souvenirladen, ein Warenhaus voller Spielzeug-Riesenkipplaster, Schutzhelme in Kindergrößen, Aquarelle mit gigantischen Maschinen und Lastwagensocken. Ich schnappte mir einen Armvoll Souvenirs. An der Kasse, in einem Behälter mit Spontankaufobjekten, machte ich den Fund des Tages: ein kleiner Plüschöltropfen mit gelben Füßen und Wackelaugen. Wer hätte gedacht, dass Erdöl so knuffig sein kann?
Die folgenden Stunden verbrachte ich in der Ausstellung, war wie elektrisiert von Schürfkübel- und Schaufelradbaggermodellen, Behältern mit flüssigem Bitumen in verschiedenen Konsistenzen – bei Raumtemperatur, erhitzt und verdünnt. Mit Stäben konnte man das Zeug umrühren und so die unterschiedliche Zähigkeit fühlen. Und erst der Muldenkipper, ein Hundertfünfzigtonner, der im Ausstellungssaal parkte! Ich klet terte gut fünf Meter hoch ins Fahrerhaus, setzte mich auf den Fahrersitz und zerrte das Lenkrad hin und her.
Kommen wir nun zu einer Lobeshymne auf die Abteilung »Schaufeln und Schnuppern«, die einen Haufen unbearbeiteten Ölsands unter einer Plastikkuppel präsentiert. Hier wird dazu eingeladen, mit einer durch die Kuppel in den Hügel gesteckten Stange zuerst im Ölsand zu stochern und dann durch eine kleine Öffnung in das Innere hineinzuschnuppern. Schaufeln und Schnuppern! Was für ein starker, knapper Name! Ein Aufruf zur Tat, die Garantie eines unmittelbaren Ölsanderlebnisses für Tast- und Riechsinn.
Ein Junge bediente den Schürfzug. »Das Teil ist cool!«, rief er und steckte die Nase in die Kuppel. »Dad, komm mal her und riech den Ölsand! Das Discovery Centre macht voll Spaß!« Eine lebendig gewordene Reklame für das Oil Sands Discovery Centre. Dann war ich an der Reihe, mich ans Werk zu machen.
Ich schaufelte. Und schnupperte.
Offen gestanden roch ich nicht viel. Vielleicht musste mal eine frische Ladung Sand her. Aber hatte ich nicht bereits etwas gelernt? Dass nämlich Ölsand manchmal sein Aroma verliert?
Wenn Sie glauben – es wäre merkwürdig, wenn nicht –, dass die Ölsandunternehmen das Oil Sands Discovery Centre selbst, gewissermaßen als Tempel ihrer Verewigung errichtet haben, sei Ihnen verziehen. Aber unter den vielen Triumphen ihrer Industriepropagandafeldzüge ist ihr größter, dass das Museum tatsächlich eine Regierungseinrichtung ist, betrieben und ver waltet von der Provinz Alberta. Ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse, was diese reibungslose Zusammenarbeit über die Beziehung zwischen Öl und Politik in dieser Gegend aussagt.
Der Spaß wurde jedoch zum Teil gedämpft durch einen ab und zu spürbaren Anflug eines rechtfertigenden, verlegenen Tons in den Infotexten. Ich spürte, wie die Ausstellungsmacher zähneknirschend versuchten, es dem einen Spielverderber, der anscheinend in jeder Arbeitsgruppe war, recht zu machen, der eine, der immer wieder
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