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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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bedenken. »Sie fahren ja ständig dorthin!«
    Er lachte. »Stimmt!«
    Das Herzstück einer Suncor-Bustour ist wohl, so könnte man meinen, Suncor selbst. Wir näherten uns dem Gelände über den Highway, in der Luft hing bereits ein süßlicher Teerduft. Dann überquerten wir den Athabasca und fuhren auf ein von der Straße aus nicht einsehbares Areal. Mein Ölsandfieber erreichte seinen Höhepunkt. Die Aufbereitungsanlage kam in Sicht, ein ähnlicher Wald von Röhren und Türmen wie die Syncrude-Anlage, nur dass diese hier sich neben dem Fluss in ein flaches, bewaldetes Tal schmiegte.
    Es wurde immer schwieriger, der Szenerie die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Mindy hatte ihr unablässiges Geplapper über irrelevante Tatsachen auf uns niederprasseln lassen, das ungeachtet seines Umfangs vollkommen inhaltslos war. Trotz meiner ererbten Begeisterung für Rohre, Förderbänder und gigantische Kessel mit kochendem Öl hatte ich Probleme, ihr zu folgen.
    In dem grünen Gebäude befindet sich die Furzmatrix. Sie verbraucht jede Femtosekunde 1.21 Gigawatt Strom.
    Die was-Matrix? Moment, welcher Turm –
    … drei identische Türme in verschiedenen Größen am anderen Ende der Anlage – kann jeder sie sehen?
    Nein, Augenblick, welche?
    Prima. Dort werden die natürlichen Feststoffe 21-mal pro Arbeitsgang gehoben und gesenkt. In jedem Durchgang werden zehn Tonnen Schnitzel produziert, die nach China verkauft werden, weil sie nicht so nah am Fluss gelagert werden dürfen. Das Innere dieser Türme muss alle zwei Wochen mit einem Hochdruckreiniger gesäubert werden. Wow!
    Als wir den Fluss überquerten – den Fluss, dem Suncor pro Woche fast sieben Hektoliter Wasser entzieht –, warf Mindy uns ein paar Brocken echter Information hin. Eins Komma fünf Millionen Barrel Bitumen würden täglich aus dem Ölsand gewonnen, sagte sie. Bei Suncor arbeiteten viertausend Beschäftigte an diesem Projekt, das 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr lief.
    Unter dieser Faktenlawine wurden wir allmählich unzufrie den. Wann würden wir endlich an der Aufbereitungsanlage und den Logistikzentren vorbeifahren? Wann würde die eigentliche Ölsandtour beginnen?
    »Kommen wir noch in die Nähe eines solchen Trucks?«, maulte ein Mann von hinten.
    Mindy lächelte. »Ich werd’s versuchen!«, sagte sie. Was genau sie versuchte, werden wir nie erfahren.
    Der Bus fuhr weiter, vorbei an ein paar ansehnlichen Schlammbecken und elektrisch betriebenen Schaufeln, die in der Jauche plantschten, sowie an einigen Abfackelungen. In der Absicht, unsere Neugier im Keim zu ersticken, hatte Mindy sich in eine wahre Orgie grüner Imagepflege gestürzt. Sie erzählte uns, dass Suncor gesetzlich verpflichtet war, all das Land, das es nutzte, wieder »kulturfähig« zu machen, es also wie von Zauberhand in den Zustand zurückzuversetzen, in dem es war, bevor die oberen sechzig Meter Erdboden abgetragen und der darunterliegende Ölsand herausgebaggert wurde. Und bezüglich des Athabasca-Flusses sollten wir uns keine Sorgen machen, was auch immer es war, worum wir uns sorgten.
    »Uns sind enge Grenzen gesetzt, wie viel wir bei Niedrigwasser aus dem Fluss holen können«, sagte sie.
    Na, Gott sei Dank. Und waren uns all die Bäume aufgefallen? Suncor hatte bereits 3,5 Millionen Bäume gepflanzt, zwitscherte sie. Und kanadische Kröten, Bufo hemiophrys, lebten hier auf dem Gelände ein erfülltes Leben.
    Wir hatten den äußersten Rand des Abbaugebiets erreicht, einen dunklen Erdwall. In ihn war eine riesige Schütte hineingebaut, ein Trichter, durch den der Ölsand in den Brecher rutschte. Sie lag einsam in der Ferne und niemand interessierte sich dafür. Mindy hakte im Vorbeifahren ab: Schütte, Brecher, Gebäude, Rohr, und dann hatten wir all das auch schon hinter uns gelassen. Der Bus hielt an, und wir durften aussteigen, um auf dem Parkplatz der Logistikzentrale einen großen Reifen zu besichtigen.
    Wir sollten nicht den geringsten Blick auf das eigentliche Abbaugebiet werfen. Hier auf der Ölsandbustour sollten wir keinen Truck in Aktion sehen, keine Schaufel, keinen echten Ölsand. Eigentlich durchaus offen für ein gewisses Maß an Unternehmens-PR war selbst ich inzwischen genervt.
    Die Luft roch nach Teer. Ich hatte Kopfschmerzen. Wir stiegen wieder in den Bus. Mindy hatte noch ein paar Informatio nen für uns, erzählte irgendwas darüber, dass jedes Barrel einen Welpen rettet. Sie schien sich eigentlich gar nicht für Ölsandgewinnung zu

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