Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Verbrechen war. Auf der anderen Seite kritisierten Umweltschützer, Syncrude sei zu leicht davongekommen. Am Ende wurde Syncrude schuldig gesprochen und zahlte eine Geldstrafe von drei Millionen kanadischen Dollar – 1868 Dollar pro Ente. Und wenn das für Sie nach teuren Enten klingt, dann sollten Sie bedenken, dass Syncrude 2009 pro Tag drei Millionen Dollar Gewinn gemacht hat.
Unweit der herüberfauchenden Syncrude-Anlage stiegen wir aus dem Bus, um zwei ausgediente Bergbaumaschinen zu besichtigen. Man müsste keine Bustour machen, um sie zu sehen, wahrscheinlich sieht man sie sogar aus dem All. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Rechts stand ein Schürfkübelbagger, links ein Schaufelradbagger.
Heute wird im Ölsandtagebau ein einfaches System ange wandt: Mit Schaufeln wird das Zeug ausgebaggert und mit Last wagen weggefahren. Das System ist relativ neu. Vorher haben die Unternehmen mit Schürfkübel- und Schaufelradbaggern und Fließbändern gearbeitet. Die kübelartige Schaufel eines Schürfkübelbaggers (eine Maschine, die mit ziemlicher Sicherheit größer ist als Ihr Haus), die an Seilen von einem hohen Stahlausleger herabhing, nahm einen Eimer Sand auf – und wir sprechen hier von einem Eimer in der Größe von … der Größe von … verdammt, ich weiß es nicht. Was ist größer als ein Cadillac Escalade und kleiner als ein Bungalow? Groß, okay? Der Schürfkübelbagger schwang herum, nutzte die enorme Reichweite des Auslegers und ließ den Sand hinter sich fallen. Dann ging er – er ging tatsächlich – zentimeterweise auf gigantischen, kufenähnlichen Füßen voran und wiederholte den Vorgang, im mer wieder eine Spur ausgehobenen Sandes, Schwade genannt, hinter sich lassend.
Dann kam der Schaufelradbagger ins Spiel, zog sein Schaufelrad durch die Schwaden von Sand, und lud ihn auf ein Förderband an seiner Rückseite, das ihn an ein weiteres Förderband weitergab und das wieder an ein nächstes. So wurde der Sand über weite Strecken von der Abbaustelle wegtransportiert. Alle Förderbänder im Syncrude-Tagebau zusammen waren einst dreißig Kilometer lang. Falls Sie einmal versucht haben, ein Förderband im rauen nordischen Winter in Gang zu halten – hat ja jeder schon mal –, können Sie sich vorstellen, warum man sich schließlich für die Methode »Baggern und Wegfahren« entschieden hat.
Als ich mich dem Schaufelradbagger näherte, ergriff mich die Ungläubigkeit wie ein schwindelerregender Sog. Sogar die Form des Baggers war schwer zu erfassen: Er war grau, länger als ein Fußballfeld und das Förderband auf seinem Rücken lief auf einem Steg nach hinten, der so breit war, dass Autos darauf hätten fahren können. Die Schultern der Maschine bildete ein ungleichmäßiges, haushohes Metallgerüst mit Streben, Stegen und Rohren, das auf gewaltigen Ketten kauerte. Daraus ragte ein riesiger Ausleger hervor, aus dem sich ein dicker Fachwerktunnel nach vorn schob, an dessen Ende sich schließlich die große Stahlsonne, das Schaufelrad, befand.
Das Rad selbst war über zwölf Meter hoch und an seinem Radkranz hatte es zwei Dutzend aufgesperrte Stahlmäuler, jedes eines Tyrannosaurus Rex würdig, mit Zähnen so dick wie ein menschlicher Unterarm. Ich starrte hinauf, schwelgte in euphorischem Entsetzen und stellte mir vor, wie es sich einst durch die Erde gewühlt und im Vorbeigehen Tonnen über Tonnen öligen Sand gefördert hat. Die furchterregende Unwirklichkeit dieses Schaufelradbaggers hatte etwas Wundersames. Er war der Bastard des Eiffelturms und der New Yorker Queensboro Bridge, von seinen Eltern verlassen und von wilden Panzern aufgezogen.
Als meine Mitreisenden Fotos von sich und dem Ungeheuer machten, ging ich zum Bus zurück. Der Fahrer, Mohammed, stand daneben, die Hände in den Hosentaschen. Die Suncor-Bustour war nur ein kleiner Teil seines Jobs. Meistens fuhr er Arbeiter zu den Abbaugebieten und zurück. Als ich ihn fragte, weshalb er nicht stattdessen lieber einen der riesigen Trucks fuhr, meinte er, daran habe er kein Interesse.
»Aber Sie könnten viel Geld verdienen«, sagte ich. Das Gehalt für den Fahrer eines Muldenkippers lag bei mindestens hunderttausend Dollar – das eines Schürfkübelbaggerfahrers war sogar noch höher.
Er lächelte. »Die Schadstoffbelastung. Besonders in den aktiven Abbaugebieten von Suncor und Syncrude.« Er hielt die Luft aus den Extraktionsanlagen für gesundheitsschädlich.
»Aber die Luft atmen Sie doch auch so ein«, gab ich zu
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