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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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›Das ist das Geld, das ihr riecht.‹ Und wir sagten: ›Nein, das ist der Tod!‹«
    »Wahrscheinlich ist es beides«, sagte ich.
    Er seufzte. »Ja, es ist beides. Aber es war nicht unser Geld.«
    Das Ironische an Kelleys Einsatz war, dass er die Raffinerien als »Krebsgeschwür« bezeichnete, das aus der Stadt geschnitten werden musste, und im selben Atemzug forderte, dass die Konzerne mehr Einheimische einstellen sollten.
    »Schauen Sie, wohin der Verkehr fließt«, sagte er, als wir am Tor der Motiva-Anlage vorbeikamen. Alle Autos fuhren jetzt, am Schichtende, aus der Stadt heraus. »Diese Leute arbeiten hier, aber sie leben nicht hier.« Kelley verlangte Jobs für West Port Arthur. Wenn es schon unter den Auswirkungen der Raffinerien litt, sollte es dann nicht auch von ihrem Reichtum profitieren? In einem derart von Industrie geprägten Gebiet war die Hälfte des Umweltaktivismus darauf ausgerichtet, ein Stück vom Kuchen abzubekommen.
    *
    An einem strahlenden Wochenendnachmittag ging ich eine Runde laufen. Valero funkelte in der Sonne, als ich mich in rasendem Schneckentempo näherte. In Ruhe betrachtet, hatte das silbrig-rostige Gewirr aus Schornsteinen, Gasfackeln und Dampfwolken etwas Hypnotisches. In der Tiefe seiner Kammern und Türme teilten sich die Kohlenwasserstoffe in einzelne Fraktionen – Erdöl, Benzin, Kerosin – und wurden einer nach dem anderen gecrackt und katalysiert. Schwitzend ließ ich im Vorbeilaufen den Blick über die Rektifikationskolonne, die Vakuumkolonne, die katalytische Crackanlage, den Hydrocracker, den Hydrofiner, den Koker und den katalytischen Reformer schweifen – ohne zu wissen, was was war.
    Ähnlich wie bei Tschernobyl ist es unheimlich schwierig, eindeutige Aussagen über die gesundheitlichen Auswirkungen von Port Arthurs Industrie zu treffen. Aber zumindest einen klaren Effekt hat sie: Viele hier – und zwar nicht nur die Umweltaktivisten – gehen schlicht vom Schlimmsten aus.
    Ein Taco-Verkäufer hatte seinen Wagen an der südöstlichen Seite der Valero-Anlage unmittelbar vor dem Zaun um die glänzende Halbkugel eines Tanklagers geparkt. Der Verkäufer war ein freundlicher mexikanischer Einwanderer. Er erzählte, dass er Abfackelungen gesehen hatte, die so gewaltig waren, dass er die Hitze sogar hier außerhalb des Zauns noch spürte. Durch sein geöffnetes Fenster fragte ich ihn, ob er glaubte, dass die Luft aus der Anlage schlecht sei.
    »Natürlich ist sie das«, antwortete er. »Sie stinkt fürchterlich.« Er benutzte das Wort feo  – spanisch für »hässlich«. Von dieser Luft bekomme man alles Mögliche. Krebs zum Beispiel.
    Als ich ihm vorschlug, seine Tacos nicht ausgerechnet vor dem Valero-Zaun zu verkaufen, lachte er.
    »Irgendwie muss man seinen Lebensunterhalt ja verdienen«, sagte er und reichte mir einen Taco al pastor, aufs Haus.
    Und dann war da noch Ray, ein Raffineriearbeiter, der in einer Bar im Zentrum ein Gespräch mit mir anfing. Er arbeitete seit 22 Jahren in der petrochemischen Anlage von BASF .
    »Sollich Ihnen ma wassagen?«, fragte er und schwenkte betrunken einen Plastikbecher mit Boone’s-Farm-Fruchtwein. »Ich weiß – ich vermute es nicht bloß, ich weiß  –, dass ich spätestens mit fünfzig irgendeine Art von Krebs habe. Das weiß jeder in der Anlage, und zwar ohne den geringsten Zweifel.« Ray war zudem der Meinung, dass ein Terrorangriff auf eine Raffinerie zu einer katastrophalen Kettenreaktion führen könnte, bei der alle 15 Anlagen zwischen BASF und dem Stadtzentrum dem Erdboden gleichgemacht würden. »Dieser Ort ist eine Zeitbombe«, sagte er fast heiter.
    In Port Arthur kann es passieren, dass der glühendste Fortschrittsverfechter das Gespräch übergangslos auf solche Themen bringt. Acht Kilometer nördlich von der Innenstadt traf i ch im Kongresszentrum Peggy und Laura, zwei nette Damen, die den jährlichen Karnevalsball der »Majestic Krewe of Aurora« organisierten. Peggy war eine loyale Tochter der Stadt, so loyal, dass sie immer noch sauer war auf die in Port Arthur aufgewachsene Janis Joplin, weil diese irgendwann einmal schlecht über die örtliche Highschool geredet hatte. Aber ich musste nur fallen lassen, dass ich ein an Umweltthemen interessierter Autor war, und schon holte Peggy die Keule raus.
    »Krebs!«, rief sie. »Wir haben hier jede Menge Krebs. Das kommt von den Raffinerien. Und der Verbrennungsanlage. Der Anlage beim Highway, wissen Sie? Da, wo das ganze Nervengas verbrannt wird. Ja, sie

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