Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Barrel Rohöl an Bord und war unterwegs zur ExxonMobil-Raffinerie in Beaumont. Um seine Fracht abzuliefern, musste der Tanker durch den Kanal fahren, ein schmale, von Menschen ausgehobene Meeresenge, die vom Golf aus ins Landesinnere vorstößt, und dann an der Frontalseite von Port Arthurs Innenstadt vorbei in nördlicher Richtung nach Beaumont. An manchen Stellen ist der Kanal nicht einmal dreihundert Meter breit und der schiffbare Teil ist sogar noch schmaler. Ein kniffliges Nadelöhr für jedes größere Schiff, und die Eagle Otome war fast 245 Meter lang.
Das Zeitalter der Blowouts ist vorüber, trotzdem sprudelt auch heute noch gelegentlich spontan Erdöl in Port Arthur. Als die Eagle Otome um eine leichte Biegung fuhr, kam sie vom Kurs ab und schlingerte langsam den Kanal hinunter in Richtung des Kais von Port Arthur. Der Tanker – beinahe so lang wie der Kanal breit – fuhr schräg durch den Kanal, lief auf ein Schiff auf, das an der Kaimauer lag, und versperrte einem Schleppschiff hinter sich den Weg. Der Schlepper bugsierte zwei 76 Meter lange Lastkähne und hatte keine andere Wahl, als geradewegs in die Eagle Otome zu pflügen. Dabei riss er ein klaffendes Loch in den Rumpf des Öltankers. Man kann von Glück sagen, dass nur zwei Prozent des Öls durch die Öffnung ausliefen.
Andrerseits geht es hier um zwei Prozent von 87 Millionen Litern Öl. Es war die größte Ölkatastrophe in Texas seit zwanzig Jahren.
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Mit einer Ölpest ist es dasselbe wie mit einem Ölfund: Solange das Öl sprudelt, sorgt es für Arbeit. Auf dem Spindletop hieß dies über Jahrzehnte, mal gab es Arbeit, mal nicht. Im Fall der Eagle Otome bedeutete es Arbeit für gut zwei Wochen. Reinigungsunternehmen kümmerten sich um das ausgelaufene Öl, und Schlepper zogen die beschädigten Unfallschiffe zur Reparatur in die Werft. Die Medien versuchten, die Gründe für den Unfall herauszufinden und berichteten über die Sperrung des Kanals. Eine größere Katastrophe hätte sie vielleicht einen Monat oder länger beschäftigt. (Bei mir war es bloß ein glücklicher Zufall, dass ich zwei Wochen nach dem Unglück nach Port Arthur kam.)
Eine Ölpest ist selbst für Umweltaktivisten eine Art Segen, sei es als zusätzliche Motivation oder als überzeugender öffentlicher Beweis für die Wichtigkeit der Sache. Wegen der Gefahr von Vergiftung durch Schwefelwasserstoff wurde Port Arthur kurzfristig evakuiert – noch ein Pfeil, den Hilton Kelley auf die Raffinerieunternehmen abschießen konnte.
Es ist vielleicht nicht der effizienteste Weg, aus dem Öl einen Nutzen zu ziehen, aber man kann nicht leugnen, dass eine Ölkatastrophe nicht nur eine Katastrophe ist, sondern auch ein riesiger Kadaver, um den wir uns alle versammeln, um ein paar Brocken abzubekommen.
Der Parkplatz meines Hotels stand voller Trucks mit Logos von Unternehmen wie Clean Harbors oder Oil Mop LLC . Ich war nicht der Einzige, der im Ramada übernachtete: Auch die Küstenwache hatte in einem seiner Konferenzräume ihre Ölbekämpfungszentrale eingerichtet. Männer in khakifarbener Kleidung gingen mit großen Schritten in der Lobby ein und aus und strahlten eine zupackende Ernsthaftigkeit aus. Auf dem Höhepunkt der Reinigungsarbeiten hatte die Ölpest etwa zweitausend Menschen beschäftigt, aber nun ließ die Betriebsamkeit nach und die Stimmung war beschwingt.
»Ich habe gehört, Sie verlassen uns?«, fragte der Hotel manager einen gerade vorbeikommenden Reinigungsunternehmer.
»Vielleicht sind wir ja bald wieder da.«
»Bei der nächsten Ölkatastrophe?«, rief ihm eine Frau vom Empfang zu.
Im leeren Hotelrestaurant traf ich mich mit Jeremy Hansen und Bryan Markland, zwei geschniegelten Beamten von der Küstenwache, die für die Reinigungsarbeiten verantwortlich waren. »Die Reinigungsfirmen vor Ort stehen immer in den Startlöchern, jederzeit bereit, loszulegen«, sagte Hansen. »Hals abschneider.«
Markland erzählte, dass die Firmen oft schon mit der Arbeit beginnen, bevor sie überhaupt engagiert würden. Sie vertrauen darauf, dass die getane Arbeit von irgendjemandem bezahlt werden muss. So erscheinen ölhungrige Skimmerboote auf der Bildfläche, schwimmende Ölsperren, die den Ölteppich in Schach halten sollen, tauchen auf und in der Reinigungsbranche laufen die Geschäfte wie geschmiert.
Aber es ist entmutigend darüber nachzudenken, wie wenig selbst eine gründliche Reinigung erreichen kann. »Bei den meisten Ölkatastrophen ist man schon gut dabei,
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