Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
Vom Netzwerk:
nicht privaten Gebrauch, aber die war schon vor der Golden Gate Bridge zusammengebrochen.
    Und was war mit dem Plan, »weiterhin Sammelmethoden zu testen«? Bislang hatten wir in dieser Hinsicht noch keinerlei Initiative ergriffen, wenn man einmal von Robins Projekt auf dem Dach des Steuerhauses absah. Er arbeitete daran – auf Marys Vorschlag hin, denke ich –, ein großes, steifes Netz zusammenzubasteln, das sich bei passender Gelegenheit einen schönen Happen aus einer dichten Abfallschwade schnappen konnte. So sah Technologieentwicklung an Bord der Kaisei aus: ein warmherziger, witzelnder Rentner schwingt beherzt einen Akkuschrauber.
    Noch etwas auf dem Dach des Steuerhauses war mir aufgefallen: der »Strand«, der dort noch vom letzten Jahr eingelagert war. Das war das innovative, sich den Wellenbewegungen an passende Gerät, das vom Kaisei-Projekt mit dem Ziel entwickelt wurde, das Plastikkonfetti vom Meerwasser zu separieren.
    Der »Strand« war eine Sperrholzkiste mit schrägem Deckel. Jemand hatte ihn während der letzten Sommerreise auf dem Schiff gebaut, nun war er so befestigt, dass er sich genau hinter dem Mann am Ruder befand. Lange hatte ich ihn überhaupt nicht bemerkt – weil er aussah wie eine Sperrholzkiste.
    Das Beiboot zischte vorbei, mit Abfangkurs auf ein weiteres Stück Müll. Robin streckte zwei Finger aus, als ob er den Ozean kneifen wollte.
    »Es ist, als ob man am Strand stünde und ein ganz, ganz winziges Sandkörnchen aufheben würde«, sagte er.
    20. AUGUST – 34°42’ N, 140°19’ W
    Mitten in der Nacht träume ich, dass ich am Ruder eines großen Schiffs stehe, mit dem ich über den Pazifik segele. Die Luft ist kalt und feucht. Die Takelage knarzt durch das Schlingern des Schiffs. Wasser zischt an der Lee-Reling entlang.
    Am Nachmittag sagte Mary uns, wir hätten den NOAA -Wegpunkt passiert. Irgendwann am selben Tag oder in der Nacht zuvor sind wir ohne großes Trara daran vorbeigefahren. Abgesehen von der Abfallbeobachtung wurden, soweit mir bekannt ist, keine Messungen durchgeführt. Da wir dort keinen Müllaufstrom vorgefunden hatten, waren wir einfach mit Kurs auf den Wegpunkt der University of Hawaii weitergefahren.
    Die See war bewegt, grau und frei von Müll. Wir hatten offenbar nicht nur Mühe, eine breite Abfallströmung zu finden, sondern auch den Nordpazifikwirbel selbst. Wir segelten unter starkem Wind, was den Schluss zuließ, dass das den Wirbel kennzeichnende Hochdruckgebiet sich weiter westlich befand als gewöhnlich. Würden wir denn nie die Plastiksee befahren? Mary blieb dabei, es sei Abfall im Wasser, wir könnten ihn nur nicht sehen, weil er durch den starken Wind und die hohen Wellen unter die Wasseroberfläche gedrückt würde.
    Nikolai Maximenko, der Meeresforscher der University of Hawaii, mit dem Mary zusammenarbeitete, bestätigte mir später, es gebe diesen Effekt tatsächlich. An jenem Tag wurde überdeutlich, dass der Müllteppich alles andere als gleichförmig war: Er sah überall anders aus und veränderte sich ständig.
    Aber das spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass wir weiter Richtung Westen segelten und mehr Müll fanden.
    21. AUGUST – 34°44’ N, 142°44’ W
    Eine Woche auf See. Die Hälfte der wachen Stunden verbrachte ich damit, vom Festland zu träumen. Von Land, das sich nicht bewegte. Von einem hübschen Gehweg, den die Frau Doktor hinunterläuft. In der übrigen Zeit bestaunte ich die Wunder des Ozeans und die zahllosen, vielfältig gebrochenen Schichten seiner immer bewegten Oberfläche. Oder ich verbrachte sie auf einer Rahe und kämpfte damit, ein Segel ins schimmernde Nichts zu setzen.
    Wir lebten nun für das, wovor wir alle Angst gehabt hatten: aufzuentern. Wir konnten das Kommando kaum abwarten, drängten zu den Webeleinen, bereit, hinaufzuklettern in die Topp- oder Bramsegel, vielleicht dreißig Meter über Deck. Wir krochen die Spiere entlang wie arthritische Affen und pressten uns mit dem Bauch an die Rahen, wie der Piratenkönig es uns gezeigt hatte. Inzwischen verließ ich mich auf das, was ich vorher für das Schlimmste am Aufentern gehalten hatte: das Schlingern und Stampfen des Schiffes. Ich wartete auf die Augenblicke, in denen es meine Aufwärtsbewegung unter stützte und auf die Sekunden, in denen es mich an die Rahe klebte und ich bedenkenlos beide Hände benutzen konnte, um einen Knoten zu machen, ohne die Sorge, ins weite Blau geworfen zu werden und nur noch durch einen kurzen Gurt an der Hüfte mit

Weitere Kostenlose Bücher