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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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wenn es denn je in einer geordneten Bahn verlaufen war. Wir würden mehr sichten und im Logbuch einen Anstieg der Objekte registrieren, aber das würde nicht bedeuten, dass sich im Wasser etwas verändert hätte, sondern nur, dass zusätzliche Leute an Deck waren. Das Logbuch zeigte bereits die Schäden durch vorherige Aktionen dieser Art: Manchmal hatte Nikki beschlossen, bei den Wachen mitzuhelfen, dann hatte sie von den Salingen aus Eifer verbreitet und so die Anzahl der Funde womöglich verdoppelt.
    Kelsey, die ihre Examensarbeit über Meeresabfälle geschrieben hatte, meldete sich zu Wort, bevor ich es tat, und unterstrich, dass es auf Konsistenz im Vorgehen und nicht auf bloße Intensivierung ankam. Nikki argumentierte leidenschaftlich dagegen, indem sie im Wesentlichen auf die seltene Gelegenheit hinwies, die es war, hier im Wirbel zu sein. Dann mischten sich Art, Henry und Kaniela ein, und so wurde an Bord des Zweimasters Kaisei, in der Nähe des Breitengrads 34° 36’ Nord und Längengrads 143° 21’ West gegen halb acht Uhr abends die wissenschaftliche Methodik von Grund auf neu erfunden. Wäre eine Highschool-Klasse anwesend gewesen – es wäre ein Moment experimentellen Unterrichts gewesen, so echt und unbeeinflusst, wie er nur sein kann.
    Empirische Konsistenz trug den Tagessieg davon. Die Abfallwache in Zweierteams wurde erneut ratifiziert und die wissenschaftliche Gemeinde nahm das Feiern wieder auf. Als es dunkel geworden war, saßen wir auf den Backskisten auf dem von Kaniela so genannten »Poopdeck«, und diskutierten über die Herkunft dieses Begriffs, ob es überhaupt einer war, ob ein Deck durch »poopen« (engl. kacken) in ein Poopdeck verwandelt werden könnte und so weiter. Dann überprüften wir die Achterleinen, die Kaniela in der Hoffnung, Fische zu fangen, ausgeworfen hatte. Aromatische Rauchwolken stiegen auf und wir reagierten auf jeden ungewohnten Schritt mit der Paranoia von Jugendlichen, auch wenn ein paar von uns seit über vierzig Jahren keine mehr waren.
    Ich ging schlafen, bevor die Party richtig wild wurde. Ich hatte meine Lektion in Tschernobyl gelernt und mir graute davor, bei der nächsten Wache, die in vier Stunden beginnen sollte, verkatert zu sein. Deshalb verpasste ich den Moment, in dem jemand bemerkte, dass die Angelschnur ungewöhnlich straff war, den Moment, in dem das Monster an Bord gehievt wurde: eine Gemeine Goldmakrele, locker einen Meter lang, glitzernd und wie aus urgeschichtlichen Zeiten. Ich verschlief das alles, den Tumult, als Kaniela und George, der junge Assistent des Ingenieurs, den nur halb getöteten Fisch an meiner Kajüte vorbei den Gang entlang in den Kühlschrank schleppten; schlief auch noch, als sie den Flur wischten, weil ihnen trotz ihres betrunkenen Zustands klar geworden war, dass er aussah wie ein Schlachtfeld. Erst zum Schichtwechsel wachte ich auf. Das gesamte Bravo-Team war zu spät an Deck und ein, zwei von uns waren noch ziemlich betrunken. Kelsey reagierte auf eine Order, den Kurs um fünf Grad zu korrigieren, mit wildem Drehen des Ruders nach steuerbord und noch wilderen Bewegungen zurück nach backbord. Als ich nach vorn ging, um das Schiff zu überprüfen, fand ich George, ohnmächtig und mit offenem Hosenstall, in dem Netz unter dem Bugspriet. Der Sicherheitsgurt war ordnungsgemäß befestigt und George sah sonderbar glückselig aus, wie er da ausgebreitet im Netz lag, unter ihm der Ozean wie im Traum vorbeirauschend.
    23. AUGUST – 33°36’ N, 146°36’ W
    Wir waren drin.
    Nick raste im Beiboot vor und zurück und fischte ganz nach Ocean-Conservacy-Art Eimer, Reinigungsmittelflaschen, Krüge, Wäschekörbe und den ein oder anderen Sicherheitshelm heraus. Er füllte Protokolle für die Internationale Küstensäuberung aus, tippte das Abfall-Logbuch in seinen Computer ab und kletterte in den Ausguck, um nach größeren Gegenständen und Müllströmen Ausschau zu halten. Es war ansteckend. Fühlte man sich plötzlich munter und zielstrebig, hatte Nick den Raum betreten.
    Der Fang des Tages war ein riesiges Geisternetz. George, der Kapitän und ich zogen es über die Seite hoch, ein ungeheures Gewirr aus Netzen und Seilen, das vielleicht einen Durchmesser von einem Meter hatte und bestimmt siebzig Kilo wog. Als es an Deck plumpste, fielen Dutzende kleiner Krebse aus dem Gewirr, kleine, kobaltblaue Pünktchen, die über die Planken krabbelten. Sie hatten die Farbe des Pazifiks. Wir warfen sie zurück ins Wasser. Soweit ich

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