Willkommen im sonnigen Tschernobyl
dem Rest der Welt verbunden zu sein.
Und ich mochte meine Schiffskameraden. Wir waren dabei, Freunde zu werden, erlebten, wie das Fremde und das Vertraute für eine Weile eins wird. Es stellte sich heraus, dass Robin es faustdick hinter den Ohren hatte, keine Gelegenheit ausließ, einen unanständigen Witz zu erzählen oder sich fröhlich über sich selbst, über uns, über alles lustig zu machen. Er erzählte uns alte Geschichten von seiner Arbeit, wie er zum Beispiel einmal ins Büro des Rektors gerufen worden war – als Lehrer wohlgemerkt – wegen irgendeines Unfugs, den er zusammen mit seinen Schülern getrieben hatte. Robins Kumpel Art war ein von Wind und Wetter gegerbter Mann über siebzig und sprach in dem breiten Dialekt der New-England-Fischer – dabei war er Surfer, hatte Naturwissenschaften unterrichtet und lebte auf Hawaii. Er kletterte wie ein Junger die Webeleinen hinauf, rutschte die Wanten hinunter und sprang an Deck – ein alter Seebär, der gern die Shaka-Geste machte. Adam, das schlurfende kulinarische Tier, hauste in der stampfenden Metallkiste, die unsere Kombüse darstellte, kämpfte mit schlitternden Pfannen und Tabletts und hantierte mit seinem Ninja-Küchenmesserset voller Konzentration und Hingabe.
Am Samstagabend feierten wir eine Party. Die Konzepte »Samstag« und »Abend« hatten im ewigen Wechsel der Wach dienste längst ihre Bedeutung verloren, »Party« aber noch nicht. Wir feierten, dass wir das Innere des Wirbels erreicht hatten. Endlich war die Luft warm, subtropisch, das Meer nahezu spiegelglatt, das Deck leuchtete in der Abendsonne. Joe, der Ingenieur, stellte die Maschinen ab und die Kaisei tanzte auf den sanften Wellen.
Art stieg auf das Dach des oberen Aufenthaltsraums und improvisierte eine umgewandelte Passage von Moby Dick, in der er die Suche nach dem »großen, weißen Müllball« beschwor. Kurz zuvor hatten wir einen Wal gesichtet – erneuter Anlass für eine kleinere Drängelei an der Reling. Doch Arts Witz machte deutlich, dass für uns in Wahrheit ein walgroßer Müllklumpen weitaus aufregender gewesen wäre.
Dann machte Robin den Anheizer, brüllte irgendetwas auf Japanisch und wir antworteten mit Banzai! -Rufen, immer und immer wieder erfüllten unsere Schreie die Luft. Erst später gab er zu, dass er irgendetwas gerufen hatte, das so viel bedeutete wie »Ich will mit deiner Schwester schlafen«.
Unter Deck versteckte Wodka- und Rumflaschen tauchten auf – eigentlich sollte es eine trockene Fahrt sein –, und unser Grog, in diesem Fall ein Topf mit Früchtepunsch, wurde immer wieder neu aufgepeppt. Mary hob ihren Becher – man sah ihr an, dass sie nicht sicher war, wohin all das führen würde – und machte ein paar Ansagen. Sie brachte uns in Erinnerung, weshalb wir da draußen waren. Es ging um das Plastik, darum, die Modelle zu überprüfen und die Müllströme zu finden. Sie betonte, wie wichtig die Daten seien, die wir sammelten.
Nikki, eine der etwas ehrgeizigeren Freiwilligen, stimmte ein und meinte, wir bräuchten mehr Leute für die Abfallbeobachtung. Ihrer Ansicht nach reichten zwei Beobachter im Bug nicht aus. Sie fand, wir sollten auch hinten jemanden aufstellen. »Wir müssen eine Möglichkeit finden, mehr Daten zu erheben «, sagte sie und schlug die Hände zusammen.
Kleine empiristische Signale blinkten in meinem Hirn auf. Mehr Daten?
Der wissenschaftliche Wert unserer Beobachtungen war ohne hin zweifelhaft. Zum einen variierte die Ausbeute sehr, je nachdem, welche Wache gerade Dienst schob. Sogar so eine simple Sache wie die, ob man nach vorn, seitwärts oder nach hinten blickte, konnte Veränderungen der Mülldichte suggerieren, die so gar nicht existierten. Zudem herrschten unterschiedliche Meinungen darüber, wie klein ein Objekt sein und noch als solches zählen konnte, im Gegensatz zu einem Teilchen oder Partikel. Während Objekte im Logbuch beschrieben und Zeit und Koordinaten ihrer Sichtung registriert wurden, erfassten wir die Teilchen während der Wacheinheiten nur in einer Strichliste. Bestimmt zehn Wachen hatte es gedauert, bis wir hierüber eine Einigung erzielt hatten. Danach hatte unser Müll logbuch, wenn schon keinen quantitativen, so doch wenigstens einen gewissen qualitativen Wert, weil es das Auf und Ab der Müllmengen beschrieb, die wir durchquerten.
Nun wurde also vorgeschlagen, über zusätzliche Wachschich ten mehr Daten zu erheben. Das würde jedoch das gesamte Unternehmen aus der Bahn werfen –
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