Willkommen im sonnigen Tschernobyl
leben. Das ist der Unterschied. Wir kämpfen auch für die Menschen hier.«
Das war identisch mit dem Ansatz des Ambé-Projekts, nur auf Umweltpolitik übertragen. Berücksichtigt man die Menschen nicht – sei es bei den Nationalparks, sei es bei Protestaktionen –, lässt man etwas Grundlegendes außer Acht. Und Sena meinte nicht nur die indigene Bevölkerung, sondern auch die Kleinbauern, die durch die Sojafarmen verdrängt wurden, und die anderen über zwanzig Millionen Menschen im Amazonasbecken, ob auf dem Land oder in großen Städten wie Manaus. Sie alle waren wichtige Akteure mit berechtigten Ansprüchen.
Aber es gab zumindest eine Gruppe, die nicht zählte.
»Vor 2000 kannten wir die Sojapflanze nicht«, sagte Sena. Doch 2001 kreuzten plötzlich die Sojafarmer aus Mato Grosso auf. »Sie kauften mit ihrem Geld dieses Land auf«, sagte er be stimmt. »Sie wollten hier nicht leben, sie wollten nur anbauen.«
Die neu aus dem Süden gekommenen Farmer fügten sich nicht wirklich ein, was nicht zuletzt daran lag, dass ihre durch technisierten Betriebe nur wenige Arbeitsplätze für die Menschen aus Pará boten. Die Einheimischen nannten die Sojabauern soyeros, ein Wortspiel mit dem portugiesischen Wort für dreckig.
»Die soyeros mögen es natürlich nicht, so genannt zu werden«, sagte Pater Sena. »Aber sie sind dreckig. Sie kamen nicht her, um mit uns gemeinsam zu leben, sondern um das Land auszusaugen.«
Man könnte es die Sena-Doktrin nennen: Menschen sind ein unverzichtbarer Teil der Umwelt – außer sie sind Dreckskerle.
*
Wir saßen wieder in Mangos Auto und fuhren den BR -163 ungefähr bis zu Kilometer 45 hinunter, wo wir Nestor treffen sollten, einen Kleinbauern, der den Sojaboom überstanden und seinen Hof behalten hatte. Nestor verkaufte uns Bier, und er und sein Sohn nahmen uns mit auf einen Rundgang zu seinen Maniokfeldern. »Hier lebten früher viele Leute auf kleinen Bauernhöfen«, sagte er. Doch in den ersten fünf Jahren des neuen Jahrtausends waren in Scharen Käufer aus dem Süden hergekommen und hatten die Landpreise in die Höhe getrieben. Die meisten nahmen das Geld. »Sie verkauften ihr Land und dann machten die Traktoren alles platt.« Das Dorf Paca, das in der Nähe lag, war komplett vom Erdboden verschwunden, um Platz für die Sojabohnen zu schaffen. Sogar die Pfingstkirche des Dorfes traf es. »Sie haben alles verkauft«, sagte Nestors Sohn und lachte. »Die Kirche wurde abgerissen, damit Soja angepflanzt werden konnte. Man sieht nicht mal mehr, dass hier einmal eine stand.«
Nestor gab den Lokalpolitikern die Schuld, die seiner Ansicht nach Cargill in die Gegend geholt hatten. »Die Regierung hat diese Leute für den Fortschritt geholt. Und vielleicht haben sie ihn ja auch gebracht. Aber sie brachten auch schlechte Dinge … Die Leute sahen das Geld und dachten, es würde immer so weitergehen. Einer verkaufte, was den nächsten veranlasste, ebenfalls zu verkaufen.«
Das klang nach einem Rausch, sagte ich. Gil übersetzte und verwendete das Wort locura, »Wahnsinn«. Nestor und sein Sohn nickten energisch. »Era«, sagten sie. Das war es. Auf dieser Höhe des Highways hatten nur Nestor und sein Bruder ihr Land vollständig behalten, sagte er. Alle anderen hatten zumindest einen Teil verkauft.
Der Rausch hatte die Natur in der Gegend verändert, sichtbar und unsichtbar. Wir trafen mehrere Bauern, die über die Chemikalien klagten, die von den angrenzenden Sojabetrieben für ihre Pflanzen verwendet wurden, und darüber, dass die Schädlingsplagen auf den kleinen Höfen der Umgebung durch die Soja-Monokultur zugenommen hatten. »Auf ihren Feldern gibt es viele Krankheiten«, sagte einer der Männer über die Sojafarmer. »Ich setze Reis und er wird nichts. Wenn ich Bohnen anpflanze, fressen die Insekten alles auf. Wir haben nichts zu ernten.« Er behauptete, die Sojabetriebe seien nur deshalb erfolgreich, weil sie so viel Dünger verwendeten.
Und er sagte, dass die weiten, offenen Flächen Wind und Temperatur veränderten, allein schon der fehlende Schatten mache ihnen das Leben schwer. Wo sie früher im Laufe eines Arbeitstages große Entfernungen zu Fuß zurückgelegt hatten, boten die ausgedehnten Sojafelder nun kaum noch Schutz vor der quälenden Sonne – also gingen sie weniger zu Fuß.
Wir fragten Nestor, warum er nicht verkauft hatte. Ihm war schließlich viel Geld geboten worden. Er sagte, das sei nicht wichtig. Er möge Geld nicht.
»Wenn Sie kein Geld
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