Willkommen im sonnigen Tschernobyl
und ich wechselten einen Blick. Was genau bedeutete das?
Rick wollte außerdem noch mehr über den Wald, die Verschwendung und seine Firma sprechen. »Ich möchte uns zumindest als die Typen mit guten Absichten präsentieren.«
*
Aus einem Anflug von Verzweiflung darüber, dass Brasilien seinen Teil des Deals mit der Umwelt-Horrorstory nicht erfüllte, wandte ich mich um Beistand an die katholische Kirche. Adam hatte einen Priester und Aktivisten aufgespürt, der versprach, Skandalöses und Pessimistisches über die Situation am Amazonas zu erzählen. Er hatte in Europa Schlagzeilen gemacht – die BBC nannte ihn »den glühendsten Umweltschützer vom Amazonas« – und galt als leidenschaftlicher Kämpfer für den Regenwald.
Natürlich wusste Gil, wo er zu finden war. Er kannte dort alle – vielleicht, weil er jede freie Minute auf der winzigen Terrasse vor seinem Haus verbrachte und Passanten grüßte, winkte, brüllte und tratschte. Mit ihm durch Santarém zu gehen, war wie eine Ehrenrunde mit einem beliebten Altbürgermeister zu drehen – von überall her riefen ihm Bekannte und Freunde etwas zu.
Wir suchten Pater Edilberto Sena nicht in der Kirche, sondern in den Räumen seines Radiosenders, was viel über seinen befreiungstheologischen Ansatz verrät. Der Sender befand sich in einem kleinen, zweistöckigen Gebäude in einer belebten Straße hoch über dem Fluss. Von dort aus warb Sena für seine Sache und sprach jeden Morgen seinen Kommentar.
Gil erblickte ihn schon vom Auto aus und noch auf der Straße stellten wir uns vor. Er war klein, ein jugendlicher Mittsechziger mit einem provokanten Lächeln und er sprach gut Englisch.
Als wir zum Eingang des Senders gingen, liefen uns zwei junge Frauen über den Weg. Sena blieb kurz stehen und sagte:
»Eines unserer Probleme hier – es gibt zu viele schöne Mädchen am Amazonas.«
Lächelnd legte er die Hand an die Brust.
»Da leidet ein armer Priester.«
Vom Standpunkt professioneller Öffentlichkeitsarbeit aus war das ein fragwürdiger Anfang für das Gespräch eines katholischen Geistlichen mit zwei Journalisten. Aber es passte zu Pater Senas Rebellentum, das ihm offensichtlich am Herzen lag. In seinem Büro fragte ich, was er von den Zahlen der brasilianischen Regierung hielt, die auf Niedrigrekorde bei der Abholzung hindeuteten.
»Völliger Quatsch!«, rief er mit leuchtenden Augen. Er gab zu, dass die Abholzung 2010 zurückgegangen war, bestand aber darauf, dass dies nicht die ganze Wahrheit sei. »Wenn man das zusammennimmt mit den Zahlen von 2008, 2007 …« Er schlug mit der Hand gegen den Tisch. »In den letzten acht Jahren wurden 16 Prozent des Amazonasregenwalds zerstört.«
Ich fühlte mich schon besser.
Leider waren seine Zahlen schwer übertrieben. Es hat nicht nur acht, sondern über dreißig Jahre gedauert, diese 16 Prozent zu zerstören. Aber das war nicht so wichtig. Der Kahlschlag sei ohnehin nur ein Teil der Geschichte, sagte Pater Sena. »Wir fragen: ›Warum, liebe Regierung, werden weiterhin riesige Wasserkraftwerke am Amazonas geplant?‹ Die Regierung hat vor, hier 38 Wasserkraftwerke zu bauen.« Auch für den Tapajós sind Staudämme in Planung. »Das ist ein Widerspruch«, meinte der Priester. »Die Regierung sagt, sie will den Holzraubbau stoppen, plant aber gleichzeitig Wasserkraftwerke, die Flüsse, Wälder und damit Menschen zerstören.«
Mit ebenso viel Kampfgeist ging Sena gegen den Sojaanbau in der Gegend vor. Die von ihm gegründete Frente em Defesa da Amazônia (Front zur Verteidigung Amazoniens) hatte gemeinsam mit Greenpeace gegen das Cargill-Terminal protestiert. Doch die Zusammenarbeit hielt nicht lange an.
»Von 2004 bis 2006 war Greenpeace ein wichtiger Verbündeter«, sagte Sena. »Dann gaben wir es auf … Unsere Vorgehensweisen waren zu verschieden. Wir gingen auf die Straße, um zu protestieren. Greenpeace ging aufs Cargill-Dach.« Er lachte. »Und filmte dort, um Europa und der ganzen Welt zu zeigen: Greenpeace war da! «
Es gab auch Unterschiede in der Philosophie. »Ich bin kein Umweltschützer!«, unterstrich er und wedelte mit dem Finger in der Luft. »Ich bin Amazonasschützer . Es geht hier um mehr als nur die Umwelt. Es geht auch um die Menschen.«
Er lächelte sein provokantes Lächeln. »Greenpeace hat Geld. Das hilft aber nicht viel, wenn man keine ganzheitliche Sichtweise hat. Sie kämpfen für den Wald, die Tiere und vergessen, dass zur Umwelt auch die Menschen gehören, die hier
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