Willkommen im sonnigen Tschernobyl
mögen, dann wollen wir Sie auch nicht weiter mit der Bezahlung für das Bier belästigen«, sagte ich.
Er lachte. »Ein bisschen Geld mögen wir schon.«
Diejenigen, die ihr Land verkauft hatten und nach Santarém gezogen waren, bereuten das inzwischen, meinte er. Sie wollten zurückkommen. Ein anderer Kleinbauer in der Nähe erzählte uns dasselbe: »Viele glauben, das Geld gehe ihnen nie aus, wenn sie in die Stadt ziehen. Sie ziehen also in die Stadt, kaufen ein Haus, einen Fernseher, einen Kühlschrank. Aber sie haben keine Ausbildung, deshalb bekommen sie keine Arbeit. Und wenn das Geld dann futsch ist, haben sie keine Möglichkeit, welches zu verdienen, und es tut ihnen leid, dass sie ihr Land verkauft haben.«
Wir hörten immer wieder von Familien, die den Verkauf bereuten – von Nestor, von anderen Bauern, von Pater Sena. Hier machten sich die Leute weniger Sorgen über die Auswirkungen des Sojaanbaus auf den Regenwald als auf die Gesellschaft, darüber, wie er die Menschen in die Armut trieb, die ihre Höfe verkauft hatten.
»Nun suchen sie nach einem kleinen Stück Land und finden keines«, sagte Nestor. »Ihre Töchter werden zu Prostituierten und ihre Söhne schnüffeln Klebstoff.«
Gil sagte, es sei dasselbe wie bei seinem Großvater, der aus seiner Heimat im Tapajós-Nationalpark herausgekauft wurde. »Sehr schnell hatten sie kein Geld mehr. Das ging den meisten meiner Onkel so.«
*
Noch etwas war interessant an Nestor: Sein Land brannte.
Ein Großteil des Gesprächs fand mitten auf einem glimmenden Feld statt, das so ähnlich aussah wie das, auf dem später meine Schuhsohlen schmelzen würden, während ich die geisterhaften, baumförmigen Aschehaufen anstarrte. Das Feuer war der Grund, weshalb wir überhaupt zu Nestor gefahren waren. Ich war hier, um Waldrodung zu sehen, verdammt noch mal, und wenn ein Feld mit abgeschlagenen und verbrannten Bäumen keine Rodung war, hatte ich keine Ahnung, was Roden dann sein sollte.
Offensichtlich hatte ich keine Ahnung. Am Amazonas ist Rodung ein zum Verzweifeln vertracktes Thema. Sogar Adam erschien es verwirrend, nachdem er sich für mich in das Wesentliche eingearbeitet hatte. Einmal sagte er, das Hauptthema jedes fundierteren Artikels über Abholzung in Brasilien sollte sein, wie frustrierend es ist, überhaupt erst herauszufinden, was zählt.
Nestors Fall zum Beispiel. Man könnte meinen, ein verkohlter Stumpf ist ein verkohlter Stumpf – weit gefehlt. Nestor wechselte bloß die Feldfrüchte. Brandrodung klingt unheimlich, aber hier gehört das Roden und Verbrennen häufig zu den jährlichen Routinearbeiten eines Bauern. Das Stück Land, das Nestor abbrannte, war schon mehrere Male bewirtschaftet worden. Er pflanzte Maniok – ein Wurzelgemüse, auch als Kassava oder Yuca bekannt – und ließ danach Bäume und Büsche auf dem brachliegenden Feld wachsen.
Wenn er es – wie jetzt – nach einigen Jahren wieder bepflanzen wollte, musste er die entstandene Vegetation abschneiden und ein paar Wochen trocknen lassen, um sie dann abzubrennen. Sein CO 2 -Fußabdruck war neutral: Das CO 2 , das am Tag unseres Besuchs in die Luft gelangte, war das CO 2 , das seine Pflanzen über die vergangenen fünf Jahre etwa aufgenommen hatten. Es stimmt schon, er hatte eine CO 2 -Schuld – und Habitatverlust – zu verantworten, noch von der Gründung des Hofes, aber das ist Jahrzehnte her.
Der eigentliche Streit dreht sich darum, was die neue Rodung antreibt. Man kann nicht einfach danach gehen, wer die Motorsäge in der Hand hält. Jemand, der Bäume abholzt, tut das unter Umständen, weil die Regierung die Besiedelung »unerschlossener« Regionen fördert. Vielleicht sind Sojafarmer auch in den Norden gekommen, weil die Landpreise in ihrer Heimatregion zu hoch waren – oder weil ein amerikanischer Käufer wie Cargill in Pará eine Niederlassung eröffnet hat. Alles Mögliche kann eine Rodung auslösen. Ein Sojafarmer, der bereits bewirtschaftetes Land nutzt, kann natürlich sagen, er zerstöre den Regenwald nicht. Doch was, wenn der Kleinbauer, der ihm das Land verkauft hat, deshalb nun irgendwo ein Stück Wald rodet? Wer von ihnen ist schuld an der Zerstörung?
Selbst wenn man diese Frage beantworten kann, ändert das nichts daran, dass die Siedler eines Regenwaldgebiets de facto Beschützer des übrigen Waldes werden. Landbesitzer in Brasilien unterliegen einem einzigartigen Waldgesetz, das sie verpflichtet, achtzig Prozent ihres Lands als Urwald zu
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