Willkommen im sonnigen Tschernobyl
belassen. Sogar riesige Sojabetriebe dürfen nicht mehr als zwanzig Prozent ihres Waldes roden. (Die Agrarlobby versucht, das Gesetz zu ändern.) Wäre das Gesetz tatsächlich wirksam, würde das bedeuten, dass jeder, der zwanzig Hektar Dschungel rodet, die Verantwortung für den Schutz von achtzig weiteren Hektar trüge.
Es ergibt ein vollkommen unklares Bild: Als Nestor vor Jahrzehnten seinen Hof aufbaute, hätte man in ihm richtigerweise die Verkörperung der Rodung sehen können, einen, der »das Land aussaugt«, wie Pater Sena sagen würde. Doch nun hatte Nestor berechtigte Interessen vor Ort, sein Auskommen als Bauer hing davon ab, wie erfolgreich er sich den Wellen nachfolgender Entwicklungen entgegenstemmte. Dass er nun schon so lange dort lebte, schloss ihn in die Sena-Doktrin ein. Aber würde das nicht jedem passieren, der nur lang genug bliebe?
Vielleicht leistet in dreißig Jahren ein stolzer soyero Widerstand und weigert sich, seine Farm zu verkaufen, damit ein riesiges Einkaufszentrum neben dem Tapajós-Nationalpark gebaut werden kann, und wir nennen ihn einen Beschützer des Regenwalds.
*
»Ich weiß nicht, was man hier nach Einbruch der Dunkelheit tun kann«, sagte Rick. »Ich trinke nicht. Wenn man gerne trinkt und Party macht, kann man wahrscheinlich in eine Kneipe gehen und mit Leuten quatschen.«
Er war Adam und mir im Park über den Weg gelaufen und wir luden ihn ein, mit uns zu Abend zu essen. In einem Restaurant gegenüber dem Ufer saßen wir unter freiem Himmel auf Plastikstühlen, aßen Steak und Huhn, und Rick betonte noch einmal, dass wir unbedingt seinen Wald besuchen sollten. »Da können wir schwimmen und herumblödeln«, sagte er wieder.
Rick war zum ersten Mal vor 25 Jahren nach Brasilien gekommen, begeistert von der Idee, Holz direkt vom Anbieter zu importieren. In einer Zeit vor E-Mails und Faxgeräten bedeutete das, die Lieferanten persönlich aufzusuchen. Also tat er das, ging von Stadt zu Stadt durch das ganze Amazonasgebiet und klopfte bei Sägewerken an, obwohl er kein Portugiesisch sprach (wie auch 25 Jahre später noch nicht).
Die Betreiber der Sägewerke hatten schnell herausgefunden, dass Rick, obwohl er »aussah wie ein Hippie«, wie er selbst sagte, nicht protestieren oder sich an einen Baum ketten wollte. Er wollte Bäume kaufen .
Damit verdiente er ein Vermögen. Er wurde einer der Hauptexporteure von Holz aus Santarém. Er sagte, er sei in den 1990ern einige Jahre der größte Abnehmer von Cemex gewesen, damals das größte Holzunternehmen in Santarém. Der Hunger der Welt nach exotischen Hölzern trieb die Zerstörung des Regenwalds an und Rick, der den Zwischenhandel übersprungen hatte, stillte ihn.
Er wirkte nicht so sehr wie ein Geschäftsmann als vielmehr wie ein Suchender. Etwas hatte ihn demütig gemacht – vielleicht die Erfahrung, dass sein Unternehmen pleiteging.
Er zeigte uns auf seinem Handy ein Foto vom Fluss. Unter einem winzigen Kitesurfing-Drachen in der Ferne ritt eine winzige Figur übers Wasser.
»Das bin ich«, sagte er.
Rick steckte das Handy weg. »Ihr wisst doch, dass manche Leute sagen, wenn man surft, spürt man eine Verbindung zum Wasser oder so in der Art?«, fragte er. »Ich kann das jetzt irgendwie nachvollziehen. Wenn man Kitesurfing macht, steht man in Kontakt mit der Natur. Wasser, Wellen und Wind. Man entspannt sich und hört auf, es kontrollieren zu wollen. Man hört auf, Angst davor zu haben.«
Er lachte über sich. Er war doch ein harter Kerl. Adam und ich hörten ihm zu. Hinter uns, irgendwo in der Dunkelheit, flossen der Amazonas und der Tapajós zusammen.
»Ich weiß nicht, wie man das nennt«, sagte Rick. »Vielleicht so was wie eine religiöse Erfahrung.«
*
Wir machten uns auf die Suche nach den soyeros, den Dreckskerlen aus dem Süden.
»Ich habe herausgefunden, dass Land in Pará günstig war«, sagte Luiz. »Das war der einzige Ort, an dem ich es mir leisten konnte. Also sind wir hergekommen, um ein Stück Land zu kaufen. Deshalb sind wir hier.«
Luiz war ein kleiner Mann Anfang sechzig, er hatte wässrige Augen und einen unsicheren Gang. Er war Sojafarmer und besaß dreihundert Hektar Land unweit von Nestors Hof. Außerdem war er, so wie ich es sah, betrunken.
»Wären Sie auch nach Santarém gezogen, wenn der Cargill-Hafen nicht hier wäre?«, fragte Adam.
Luiz runzelte die Stirn, als Gil übersetzte. »Was sollte ich dann hier?« Er war aus demselben Grund gekommen wie die anderen Sojafarmer. Ihm war
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