Willkommen im sonnigen Tschernobyl
klar geworden, dass zwar der Sojapreis in Pará derselbe sein würde wie in Mato Grosso, die Transportkosten aber viel geringer.
»Wir kamen nur wegen Cargill her«, sagte er. »Nicht, dass Cargill nach Mato Grosso gegangen wäre und uns eingeladen hätte – aber wir gucken natürlich Nachrichten.«
Wir gingen an seinem Feld mit satten, matschigen Erdklumpen vorbei zur Scheune, in der sein Mähdrescher stand. Luiz steckte den Arm bis zum Ellbogen in einen Sack voller Bohnen, holte eine Handvoll heraus und geriet fast aus dem Gleichgewicht, als er sie für uns in die Höhe hielt. »Sojabohnen sind Dollar«, sagte er.
Luiz bemerkte, wie ich auf den Mähdrescher starrte, eine große, alte Maschine mit grünen Seitenflächen. Er schwang sich die Leiter zum Fahrersitz hinauf und einen Augenblick später erwachte die Maschine rumpelnd zum Leben, die aufgereihten Schneidwerke drehten sich knirschend. Er schaltete ihn ab und ich kletterte hinter das Steuer. Ich sah hinaus auf das Sojafeld vor mir und stellte mir vor, wie ich zur Erntezeit mit dem Mähdrescher darüberrumpelte.
Die Dinge waren nicht optimal gelaufen für die soyeros . Der Wert von Luiz’ Land war um sechzig Prozent gesunken, seit er es gekauft hatte. Noch schlimmer: Als er es kaufte, wusste er nicht, dass er nicht alle Bäume abholzen durfte.
»Die Naturschützer .« Er spuckte das Wort aus. Ambientalistas. »Sie sind mit diesen Gesetzen gekommen und auf einmal war es verboten, mehr als zwanzig Prozent des Landes zu nutzen.« Er war gezwungen gewesen, zusätzlich Land zu pachten, um genug Anbaufläche zu haben. Das ergab für ihn keinen Sinn. Hier war reiches flaches Land. Das sollte bewirtschaftet werden. Und der Wald auf seinem Land sei nicht einmal Urwald, sagte er. Keine guten Harthölzer mehr, keine Affen, keine Früchte. Wenn Wald geschützt werden sollte, dann doch zumindest echter .
Aber so funktionierte es nicht. »Für die Umweltschützer sind die Farmer von Pará Tiere oder Gangster«, sagte er und lachte. »Es würde sie mehr schmerzen, einen abgeschlagenen Baum zu sehen als einen toten Bauern.«
Nicht nur für die Umweltschützer. Obwohl er religiös war, ging Luiz nicht mehr in die Kirche. »Ich habe damit aufgehört, weil es mich wütend machen würde.« Er wusste, wie er von Menschen wie Pater Sena genannt wurde. Er verstand bloß nicht, warum. »Die Priester greifen uns an, dabei sind wir keine Kriminellen. Wir bedrohen kein einziges Leben.«
Wir brachen auf. Im Auto auf dem Rückweg nach Santarém lachte Mango. Er konnte nicht glauben, dass Luiz nicht gewusst hatte, warum die Menschen hier die soyeros hassten.
»Ich sage dir, warum sie euch hassen«, sagte er. »Weil ihr den Wald abholzt, du Arschloch!«
*
Zuerst ist da ein geschäftiger Tukan auf einem Zweig. Synthesizersound. Dahinter ein prachtvoller Baum, der in den Himmel aufragt. Sonnenstrahlen, die durchs Blätterdach dringen.
Dann wälzt sich etwas durch das Gestrüpp – ein Bulldozer. Er bahnt sich seinen Weg auf uns zu, ein mechanischer Dämon im Garten Eden. Er kommt näher und näher, füllt den Bildschirm aus. Das Bild wird überblendet und wir sehen das Ergebnis: eine Hölle aus brennenden Baumstümpfen und schwarzer Erde. Der Himmel ist orange vor Rauch und Flammen. Das ist das Bild, über das Rick sich beklagt hatte: dass Holzfäller einfach alles auslöschen.
Und dann, inmitten der Zerstörung eine einsame Figur; mit gesenktem Kopf und verbrannten, zerrissenen Kleidern wandert ein Mann durch den verwüsteten Wald. Wer ist dieser verzweifelte Fremde, dieser Trauerengel in einem Albtraum von Waldzerstörung?
Michael Jackson, natürlich. Und er ist hier, um bohrende Fragen über die Umwelt zu stellen: »What about sunrise?«, singt er. »What about rain? What about all the things that you said we were to gain?«
In den Vereinigten Staaten verkaufte sich der Earth Song nicht besonders gut, aber in Großbritannien war er der erfolgreichste Song, den Michael Jackson je hatte, im Winter 1995/1996 stand er sechs Wochen auf Platz eins der Charts. Und das Video dazu ist das beste Umwelt-Musikvideo aller Zeiten: total zum Heulen.
Dann sehen wir ein paar traurige Buschleute, die bekümmert auf einen gewilderten Elefanten schauen, und traurige Amazonasindianer, traditionell knapp bekleidet, die hilflos mit ansehen, wie im Regenwald Bäume gefällt werden. Als Zugabe werden ein paar traurige Kroaten gezeigt. Es waren eben die Neunziger.
Michael fällt auf die Knie
Weitere Kostenlose Bücher