Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
Will sie ihren SUV mit einem klapprigen Jeep in einem Flüchtlingslager vertauschen? Mit charmanten
zwielichtigen Warlords anstelle von Zeitungsherausgebern verhandeln? Von Kleinkindern umzingelt sein wie Bob Geldof? Wird sie Reisschüsseln verteilen, während Fliegen über ihre dreihundert Pfund teure Strähnchenfrisur krabbeln?
»Großer Gott, nein!« Beinahe schreit sie vor Lachen. »Jamie Wells braucht jemanden, der eine Außenstelle organisiert – in London, Lizzy. Dachtest du wirklich, die würden mich nach Darfur schicken? Hier kann ich viel mehr leisten. Und da kommst du ins Spiel.«
»Ich?«, frage ich, immer noch verständnislos.
»Also, ich soll eine Zweigstelle einrichten, in der die gesamte Promi-PR für African Vision und die damit verbundenen Events koordiniert werden. Wir werden zu viert arbeiten. Und ich möchte dich dabeihaben. Wegen der Bedingungen in meinem Partnerschaftsvertrag mit Jemima darf ich kein Personal mitnehmen, wenn ich aussteige.« Fast liebevoll lächelt sie mich an. »Deshalb musste ich dich zur Kündigung zwingen. Ich wusste, du würdest nur gehen, wenn ich dich dazu treibe. Und nach den Ereignissen am Samstagabend wollte ich dich Jemima nicht ausliefern.«
»Heißt das – du bist mir nicht böse?«
»Dir?« Camilla lacht wieder. »O Süße, nicht mal, wenn du außer mit Randy noch mit der ganzen Carter-Morgan- Klientenliste geschlafen hättest, würde mich das interessieren. Du arbeitest hart, du bist loyal. Nur das zählt für mich.« Sie wirft mir einen prüfenden Blick zu. »Aber inzwischen hast du hoffentlich begriffen, dass Randy nicht der richtige Typ für dich ist.«
»Eh – ja«, murmle ich.
»Nun, kommst du mit mir zu African Vision?«
Zu meiner eigenen Überraschung zögere ich. Vor zwei Monaten wäre ich ihr überallhin gefolgt. Eine Beförderung nach der anderen habe ich abgelehnt, weil sie mich zu weit von einem sicheren Job entfernt hätten, den ich mit links hinkriege. Jetzt genügt mir das nicht mehr. Immerhin habe ich aus einem ganz bestimmten Grund gekündigt. Früher fand ich es wundervoll, mich hinter Camilla zu verstecken. Aber nach diesen letzten Monaten kann ich unmöglich in mein altes Leben zurückkehren. Ich muss diese Chance zur Veränderung einfach nutzen.
»Du weißt, wie gern ich für dich arbeite, Camilla...«, beginne ich langsam und sehe eine steile Falte zwischen ihren Brauen. Nach einem tiefen Atemzug spreche ich weiter. »Aber ich glaube, für mich ist es an der Zeit, etwas Neues zu wagen. Ich bin schon viel zu lange eine Assistentin. Jetzt brauche ich meine eigenen Aufgaben, meine eigenen Projekte, und ich will mich nicht mehr hinter jemand anderem verstecken.«
Unglaublich, was ich da sage...
»Oh, ist das dein einziges Problem?« Entspannt lehnt sie sich auf ihrem Stuhl zurück. »Keine Bange, Lizzy, ich will dich natürlich nicht als meine Assistentin einstellen, denn da habe ich schon eine gefunden. Du wirst eine leitende Angestellte sein und – und selbstverständlich an deinen eigenen Projekten arbeiten. Habe ich dir nicht zwei Jahre lang erklärt, dass du dich selbst ein bisschen herausfordern solltest?«
Trotzdem kann ich nicht zusagen. Zu verletzt, zu erschöpft von den Ereignissen der letzten Tage, fühle ich mich außerstande, eine so wichtige Entscheidung zu treffen,
die meine Zukunft betrifft. Ich verspreche, dass ich darüber nachdenken würde. Habe ich mir nicht gewünscht, etwas Bedeutsames zu tun? Vielleicht ist das meine Chance. Vielleicht auch nicht. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass meine Welt sich um hundertachtzig Grad gedreht hätte. Es scheint mir, als würde vor mir eine ganze Palette neuer, unterschiedlichster Möglichkeiten liegen, wie eine Platte voller Kuchenstücke, und ich müsste mir nur eine aussuchen.
Nach dem Lunch verabschiede ich mich von Camilla und sehe sie mit langen Schritten die Straße hinaufgehen, zu ihrer Familie in Chelsea. Sie hat ein Ziel, einen neuen Job, auf den sie sich vorbereitet, und Kinder, um die sie sich kümmert, einen Ehemann, der sie erwartet.
Und ich stehe unentschlossen auf dem Gehweg. Ich habe nichts zu tun. Gar nichts. Zum ersten Mal seit meinem Studium bin ich von den Fesseln eines geregelten Arbeitstages von neun bis fünf Uhr befreit. Jetzt ist es drei Uhr nachmittags, und ich kann machen, was ich will. Ich habe keine Lust, allein in meine Wohnung zu gehen. Aber alle Leute, die mir einfallen, arbeiten noch. Vielleicht sollte ich davonlaufen?«
Dank
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