Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
des unerwarteten Geldregens könnte ich sofort in einen Jet steigen und nach Marokko fliegen, in einem Riad wohnen, die Souks besichtigen und aus einem bunten Glas süßen, heißen Pfefferminztee trinken. Wenn ich es mir recht überlege – warum so bescheiden? Ich könnte ein Jahr lang auf Reisen gehen! Tiefseetauchen in Malaysia, Trekking in Thailand, eine Tour durch die kambodschanischen Tempelanlagen.
Oder wie wäre ein freiwilliger Sozialdienst? Vielleicht sollte ich neue Häuser für Familien in Guatemala bauen?
Bei Habitat for Humanity oder einer ähnlichen Organisation müsste ich wohl kaum selbst Steine schleppen oder das Maurerhandwerk erlernen. Oder Straßenkindern in Rio Englisch beibringen? In einem Greenpeace -Boot Wale retten (ein bisschen kalt, auf diesen Fotos ragen immer Eisberge im Hintergrund empor)?
Begeistert steigere ich mich in diese Vision hinein, Lizzy Harrison, eine selbstlose Wohltäterin, vorzugsweise in einer warmen Gegend, wo auch noch eine attraktive Bräune den Glanz meiner guten Taten ergänzen würde... Wie glücklich würde ich mich fühlen, wenn ich meine Zeit den Bedürftigen opfere, nicht mehr den Berühmten! Abgemagert nach einer exotischen (aber schmerzlosen und kurzen) Krankheit, würde ich nach London zurückkehren, mit Storys über Begegnungen mit knackigen französischen Ärzten von den Ärzten ohne Grenzen und einer bezaubernden Aura von Frieden und Ruhe, wie eine Nonne mit wahnsinnigem Sexappeal. Verwundert werden die Leute fragen, wie ich es ertragen hätte, inmitten dieser Armut zu leben. Und ich werde bescheiden den Kopf senken und antworten, durch diese Erfahrung sei mein Leben viel reicher geworden.
»He, Schätzchen, willst du den ganzen Tag hier stehen?«, fragt ein kahlköpfiger Mann in einem glänzenden Mantel, der versucht, einen Trolley voller Bierkästen an mir vorbeizuschieben.
Und so fahre ich nach Hause, anstatt meine Träume zu verwirklichen.
30
Vor meiner Wohnungstür liegt ein Zettel von einem Kurier, der meinem Nachbarn ein Paket für mich übergeben hat. Also gehe ich ins Erdgeschoss hinunter, klopfe an Hassans Tür und höre quietschende Kinder heranlaufen.
Nach einem langen Gefummel mit diversen Schlüsseln öffnet Hassans Frau die Tür, und die Kinder spähen an ihrem Rock vorbei.
»Hallo, wie geht’s?«, grüße ich und schwenke den Zettel vor ihrem Gesicht. »Ich glaube, Sie haben ein Paket für mich.«
»Okay.« Höflich lächelt sie, nickt und rührt sich nicht.
»Ein Paket?« Mit beiden Händen forme ich die Umrisse eines kleinen Päckchens.
»Okay«, wiederholt sie reglos und lächelt.
Da zupft der älteste Junge an ihrem Rock und murmelt etwas, das ich nicht verstehe.
»Oh!« Als ihr ein Licht aufgeht, hebt sie die Hände, erklärt ihm etwas, und er wendet sich zu mir.
»Sie sagt, da isses«, verkündet er in perfektem Peckham-Englisch, greift hinter die Tür und hält mir die Lieferung hin.
Ein Paket ist es nicht, sondern eine Sporttasche, die ich
nie zuvor gesehen habe, aus teurem gestepptem Antikleder. An einer Seite prangen zwei ineinander geschlungene weiße Cs. Zunächst glaube ich, dass es sich um einen Irrtum handeln müsse. Das kann nicht für mich bestimmt sein. Aber am Griff hängt ein Etikett, auf dem mein Name und meine Adresse in Großbuchstaben stehen.
»Vielen Dank«, sage ich und nehme die erstaunlich schwere Tasche entgegen.
»Okay.« Ernsthaft nickt der Junge. »Üble Tasche. Bis dann.« Er schließt die Tür, und ich höre die Kinder weglaufen.
Meint er mit »übel« vielleicht »so, wie Lizzy Harrison sich fühlt«? Wenn ja, trifft er den Nagel auf den Kopf.
Noch bevor ich die Tasche öffne, begreife ich. Es muss irgendwas mit Randy zu tun haben. Und das hindert mich fast eine Stunde lang daran, in ihre Nähe zu gehen. Ich lasse sie mitten im Wohnzimmer stehen und beschäftige mich mit diversen Hausarbeiten. Manchmal wirble ich herum und starre sie an, als könnte ich sie in irgendeiner kompromittierenden Position ertappen.
Schließlich gibt es nichts mehr, was mich noch ablenken könnte. Vor der Reinigung meines Herds schrecke ich zurück. Also sitze ich auf dem Sofa. Zehn Minuten lang betrachte ich die Tasche, bis mir bewusst wird, was der nächste Schritt wäre. Ich würde mit ihr reden. Und dann wäre ich endgültig verrückt.
Zögernd ziehe ich den Reißverschluss auf und weiche zurück, falls irgendwas rausfliegt. Was könnte auftauchen? Keine Ahnung, womit ich rechne. Randy höchstselbst,
Weitere Kostenlose Bücher