Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
Zeit? Mich loswerden? Wahrscheinlich habe ich ihr die Mühe erspart, mich zu feuern. Großartig! Wenn das ihr Wunsch ist – bitte sehr! Mal sehen, wie sie ohne mich zurechtkommt! Für ein paar Sekunden gestatte ich mir eine befriedigende Vision. Mit einer Flasche Ethanol stecke ich ihr Büro in Brand, verbrenne alle Beweise hinter mir und zerstöre für immer mein einzigartiges Archivierungssystem. Schließlich öffne ich die Schubladen meines Schreibtisches und beginne mit der banaleren Aufgabe, meine Sachen zu packen.
Um elf Uhr werden wir alle in den Konferenzraum gerufen. Meine Handtasche ist verdächtig aus der Form geraten, vollgestopft mit meiner Rollkartei, meiner eigenen Muji- Büroausrüstung (viel attraktiver als das grässliche Zeug aus dem Office -Katalog), einem Sortiment von Snacks für Notfälle und ein paar Nagelfeilen. Mit der Zeit hat sich einiges in den Schubfächern meines Schreibtisches angehäuft.
Ruhig und gefasst bereite ich mich auf mein letztes Meeting bei Carter Morgan vor.
Offensichtlich wurde es überstürzt einberufen, denn es sind keine Süßigkeiten zu sehen. Für gewöhnlich würde niemand bei Carter Morgan an diesem Tisch Platz nehmen, ohne sich vorher zu vergewissern, ob genügend Marks & Spencer’s Extremely Chocolatey Mini Bites gekauft wurden. Wir drängen uns im Konferenzraum und kämpfen um die Stühle, die den Tisch umgeben.
Weil ich Jemimas frostigem Blick entrinnen will, suche ich mir einen Stuhl, der möglichst weit von ihr entfernt steht. Irgendwie erinnert sie mich an einen dieser Dementoren aus den Harry-Potter- Filmen, die alle Wärme und Freude und Glücksgefühle aus einem Raum saugen, bis jeder seinen Lebenswillen verliert.
Endlich hat jeder einen Platz gefunden. Jemima wartet, bis das Stimmengewirr verstummt. Dann erhebt sie sich in gebieterischem Stil. »Bedauerlicherweise muss ich einige Kündigungen bekanntgeben.«
Ringsum wird vernehmlich nach Luft geschnappt, alle wechseln fragende Blicken. Leises Getuschel. »Wusstest du was?« – »Nein, du?«
Erneut wartet Jemima wie eine professionelle Schauspielerin, bis wieder Stille einkehrt. »Randy Jones hat Carter Morgan verlassen. Ab sofort wird er von der McCormack Agency in New York und Los Angeles repräsentiert.«
Diesmal bemüht sich niemand um einen Flüsterton. Die McCormack Agency gehört zu den international bedeutendsten PR-Firmen, ein Mammutunternehmen mit Büros in allen größeren Städten auf dem ganzen Globus. Kein Wunder, dass Camilla heute Morgen so schrecklich gelaunt war. Randy hat sie verraten, auch ihr Personal, um die Weltherrschaft zu erringen.
Bevor Jemima weiterspricht, räuspert sie sich. »Alle Medien-Anfragen, die Randys Weggang betreffen, sind an mich zu richten – an mich allein.«
Sofort fahren alle Köpfe zum Tischende herum, wo Camilla sitzt. Warum nimmt Jemima es auf sich, den Verlust von Camillas ehemaligem Klienten allein abzuwickeln?
Unermüdlich lächelt Camilla. Aber an ihrem Hals pocht ein heftiger kleiner Puls.
Während Jemima fortfährt, schwenken die Köpfe wieder in ihre Richtung. Irgendwie entsteht der Eindruck, wir würden eine ungewöhnlich langsame Tennispartie beobachten.
»Auch Camilla Carter wird die Firma heute verlassen«, sagt Jemima tonlos.
Erschrocken zucke ich zusammen. So wie alle anderen starre ich Camilla an. Doch sie sitzt reglos da, wie versteinert, und ihr Lächeln gerät kein bisschen aus den Fugen.
»Ihre Assistentin, Lizzy Harrison, wird zusammen mit ihr gehen. Natürlich bedaure ich, dass die Umstände uns keine Gelegenheit für eine Abschiedsfeier bieten. Aber natürlich wünschen wir den beiden alles Gute für die Zukunft.«
Wie hat Jemima es bloß geschafft, mit diesen knappen Worten den Anschein zu erwecken, Camilla und ich würden in Schimpf und Schande verschwinden, unmittelbar nach Randys Abgang? Niemand gönnt mir einen Blick. Offensichtlich glaubt das Personal, wir müssten etwas ganz Schreckliches verbrochen haben. Nur Lucy starrt mich über den Konferenztisch hinweg an. Wusstest du das?, formen ihre Lippen. Kopfschüttelnd schaue ich auf meine Knie herab.
»Heute Nachmittag schicke ich eine Presseerklärung raus, mit Informationen über diese Kündigungen«, fügt Jemima hinzu. »Außerdem gebe ich bekannt, dass Carter Morgan von nun an Jemima Morgan PR heißt.« Ihre Augen glitzern triumphierend. Aber sie ist unfähig, mir auch nur einen einzigen Blick zu gönnen. »Das wäre es vorerst.«
Mit beiden Händen
Weitere Kostenlose Bücher