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Willkommen in der Wirklichkeit

Willkommen in der Wirklichkeit

Titel: Willkommen in der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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deine bevorzugte Liebesstellung ist und warum. Ich kann die Laute nachahmen, die du beim Höhepunkt von dir gibst.«
    »Oh. Wirklich?«
    »Hör zu«, sagte er und tat sein Bestes, um den seltsam winselnden Lustschrei zu imitieren, den er schon so oft gehört hatte. Judiths verspieltes und herausforderndes Lächeln erlosch. Sie preßte die Lippen zusammen, ihre Augen verengten sich, rote Flecken bedeckten ihre Wangen. Sie sah von ihm weg.
    »Keine Sorge, ich habe kein Tonbandgerät unter deinem Bett«, sagte Hilgard. »Ich habe auch nicht mit Ron deine sexuellen Eigenheiten durchgesprochen. Ich würde Ron nicht einmal erkennen, würde er mir auf der Straße begegnen. Und ich lese auch nicht deine Gedanken. Woher also sollte ich all diese Dinge wissen?«
    Sie war still. Sie schob wahllos Papiere auf ihrem Schreibtisch hin und her, wobei ihre Hände zu zittern schienen.
    »Vielleicht bist du diejenige mit der Dissoziativreaktion«, sagte er. »Du hast unser Techtelmechtel vergessen.«
    »Du weißt, daß das Unsinn ist.«
    »Du hast recht. Weil die Judith Rose, mit der ich im Bett war, an der Rockefeller University arbeitet. Aber ich war jedenfalls mit einer Judith Rose im Bett, die dir ziemlich ähnlich ist. Bezweifelst du das jetzt noch?«
    Sie antwortete nicht. Sie sah ihn nur verblüfft an, und es schien auch noch etwas anderes in ihrem Blick mitzuschwingen, das ihn auf den Gedanken brachte, daß er irgendwie die Barriere zu seiner verlorenen Welt überwunden hatte und zu ihr vorgedrungen war, zu seiner Judith, und vielleicht hatte er in ihr das Simulakrum der Liebe und Leidenschaft erwecken können, das er in ihrer Existenz mit ihr teilte. Plötzlich sah er eine gewagte Phantasie-Nummer vor sich: Er mußte sich von Celia und sie sich von Ron trennen, vielleicht konnten sie dann in dieser unbekannten Welt wieder die Beziehung aufbauen, die ihm genommen worden war. Doch dieser Einfall verschwand ebenso schnell wieder, wie er gekommen war. Das war närrisch. Es war unmöglich, es war Unsinn.
    »Beschreibe mir, was dir widerfahren ist«, bat sie ihn schließlich.
    Er erzählte ihr alles mit allen Einzelheiten, an die er sich noch erinnern konnte: das Schwindelgefühl, das Gefühl, durch ein Tor zu gehen, das langsame Entdecken all dessen, was nicht mehr stimmte. »Ich würde gerne glauben, daß es sich um eine Geistesverwirrung handelt und daß sechs Lithiumpillen ausreichen, um alles wieder ins rechte Lot zu rücken. Aber ich glaube nicht mehr daran, daß es so kommen wird. Ich glaube, was mit mir geschehen ist, ist viel mehr als nur eine schizoide Spaltung. Aber das will ich, wie gesagt, nicht glauben. Ich möchte gerne glauben, daß es sich nur um eine Dissoziativreaktion handelt.«
    »Ja. Das glaube ich dir gerne.«
    »Was hältst du davon, Judith?«
    »Meine Meinung spielt keine Rolle, oder? Was zählt ist ein Beweis.«
    »Ein Beweis?«
    »Was hast du bei dir gehabt, als du dieses Schwindelgefühl verspürt hast?« fragte sie ihn.
    »Meine Kamera.« Er dachte nach. »Und meine Brieftasche.«
    »Mit Kreditkarte, Führerschein und alldem?«
    »Ja«, sagte er und begann zu verstehen. Er verspürte kalte, nackte Angst. Er zog seine Brieftasche heraus und sagte: »Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, nach meinen Sachen zu sehen. Aber hier … hier …« Er zog den Führerschein heraus. Die Adresse der Third Avenue stand darauf. Er nahm die Karte vom Diners Club. Judith legte ihre eigene daneben. Sie war anders gestaltet. Er holte einen Zwanzig-Dollar-Schein heraus. Sie verglich die Unterschriften und schüttelte den Kopf. Hilgard schloß für einen Augenblick die Augen, und er sah den Tempel von Quetzalcoatl, die großen, schweren Schnauzen der Schlangen, die massiven Steintreppen. Judiths Gesicht war dunkel und grimmig, und Hilgard wußte, daß sie ihn gezwungen hatte, die letzten Beweise vorzulegen. Er hatte plötzlich das Gefühl, als sei eine riesige Pforte für immer hinter ihm geschlossen worden. Er war nicht das Opfer einer Psychose. Er hatte den Übergang tatsächlich bewerkstelligt, und es gab kein Zurück mehr. Sein anderes Leben war verschwunden … es war tot. »Ich habe das alles gefälscht, richtig?« fragte er bitter. »Ich habe das alles drucken lassen, während wir in Mexico City waren, ja? Falschgeld und einen falschen Führerschein, damit mein Scherz auch wirklich überzeugend wird. Richtig? Richtig?« Plötzlich erinnerte er sich noch an etwas anderes und suchte in seiner Brieftasche danach.

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