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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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klatschte sogar in die Hände wie ein kleines Mädchen auf einer Party. »Aber das ist ja großartig«, sagte sie prustend. »Was für ein wunderbarer Zufall.«
    »Sie etwa auch?« mutmaßte Charlie.
    »Ja«, sagte Will, und sein Grinsen wurde um ein, zwei Grad weniger breit, »wir sind unterwegs ins Sanatorium – zur Kur.« Er zögerte, und seine Miene wurde erneut freudlos: Er war gehetzt, war am Verhungern, vor der Zeit verdammt. »Ich bin noch nie – noch nie dort gewesen«, gestand er, »aber Eleanor –«
    »Das wird mein dritter Aufenthalt«, verkündete sie und langte anmutig hinauf an den Hut, um ihn zurechtzurücken. »Ich fürchte, ich bin zu einem dieser ›Battle Freaks‹ geworden, über die man in der Zeitung liest.«
    Charlie konnte nicht anders, er unterzog sie einer raschen Musterung: schlanke Arme und zierliche Hände, die weiße Wölbung der Kehle über dem eng anliegenden Kragen, der mit einer Nadel geschmückt war, die Schwellung des Busens. Und was fehlte ihr? Sie wirkte gesund – ein bißchen angespannt und blaß vielleicht, aber nichts, was eine Woche auf dem Land nicht kurieren würde. Der Mann war ein Klappergestell – er sah aus, als könnte er alle Hilfe brauchen, die er bekommen konnte –, aber die Frau, die Frau faszinierte ihn. Er wollte die Frage in Worte fassen, überlegte, wie er sie formulieren sollte, als der Kellner mit zwei Gläsern Wasser auftauchte und sie schwungvoll vor den Lightbodys auf den Tisch stellte. »Ist der Herr fertig?« murmelte der Kellner und machte eine Handbewegung auf die verbleibenden Austern zu.
    Charlie blickte in Eleanors spöttische Augen und dann auf Will, der ihm einen trübseligen Blick von der Seite zuwarf. Er winkte ab, und die Austern verschwanden.
    »Sagen Sie, Mr. Ossining«, sagte Will, »wenn ich fragen darf – was führt Sie nach Battle Creek? Rekonvaleszenz? Geschäfte? Vergnügen?«
    Charlie war etwas aus dem Gleichgewicht, seitdem sich die Lightbodys zu ihm gesellt hatten – die Leute waren merkwürdig, daran gab es keinen Zweifel –, aber er wußte nur zu gut, daß Merkwürdigkeit ein Vorrecht der Reichen war und sein Job und Auftrag darin bestand, das nach bestem Vermögen auszunutzen. Er spürte ein plötzliches Aufwallen seines alten Selbstbewußtseins. »Geschäfte«, antwortete er. »Das Frühstückskostgeschäft. Hier ist meine Karte« – er kramte in seiner Westentasche –, »ah, hier ist sie.« Er reichte sie Will, der, während er sie in Empfang nahm, in seinem Dinnerjackett schon nach seiner eigenen suchte.
    »Welche Firma ist es, Mr. Ossining?« Eleanor beugte sich vor, um auf die Karte zu spähen, die ihr Mann in der Hand hielt. »Nullo-Fruto? Tryabita? Force? Vim?«
    Charlie war ihr gefällig, indem er eine zweite Karte – er war ungeheuer stolz auf seine Visitenkarten – vor ihr auf den Tisch legte:
     
    PER -FO CO., INC., BATTLE CREEK
     
    Perfect Food. Das perfekte Nahrungsmittel, vorverdaut, peptonisiert und sellerieimprägniert. Macht das Blut aktiv und entlastet den Darm.
     
    Charles P. Ossining, Esq.
    Geschäftsführender Direktor
     
    »Beeindruckend«, murmelte Eleanor, und Charlie war nicht sicher, ob sie es ernst meinte.
    »Sehr beeindruckend«, stimmte ihr Will zu.
    »Ich – Sie verzeihen hoffentlich, wenn ich es offen gestehe –, ich hätte nicht gedacht, daß Sie ein Befürworter wissenschaftlicher Ernährung sind, Mr. Ossining«, sagte Eleanor. »Und dieser Passus – ›entlastet den Darm‹ – ist einer von Dr. Kelloggs Wahlsprüchen. Allerdings verwendet er ihn auf reflexive Weise, indem er darauf besteht, daß sich der Darm selbst entlasten muß.«
    Charlie spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. Er nippte an seinem Glas, um seine Aufregung zu kaschieren. »Ja«, sagte er schließlich, »oder vielmehr, ich weiß es nicht. Ich hab’s in einer Zeitschrift gelesen.«
    Aber in der Zwischenzeit war Eleanors Gurkensalat eingetroffen und Wills Toast – zwei Scheiben trockenes Weißbrot, ordentlich diagonal aufgeschnitten und ohne Rinde. Der Kellner drehte fachmännisch das Tablett und stellte Charlies zweiten Gang vor ihm ab – eine mit Deckel verschlossene weiße Porzellanschüssel, aus der es dampfte. Mit gelerntem Kellnerschwung nahm er den Deckel ab und enthüllte eine heiße, sahnige Flüssigkeit: Austerneintopf.
    Will betrachtete mürrisch seinen Toast. Er schien seine eigene Karte vergessen zu haben, die er schließlich doch noch aus einer Tasche gefischt hatte und jetzt

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