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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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ihn triefäugig und vom Alkohol berauscht vor. Der Hund erkannte ihn kaum mehr, die Dienstboten fürchteten sich vor ihm, eine Woche hatte er die Kleidung nicht mehr gewechselt, und in jedem Zimmer des Hauses war eine Flasche Old Crow versteckt. Sie fütterte ihn mit Limabohnen-Püree, mit Erdnußbutter auf Grahambrot und Pastinaken in Sahnesoße, aber nichts zeigte Wirkung. Sie ließ seinen Vater kommen, damit er ihm ins Gewissen redete, arrangierte zufällige Begegnungen mit Reverend Tanner von der Episkopalkirche und Willa Munson Craighead vom Verein christlicher Frauen für die Enthaltsamkeit – alles vergeblich. Seine Kehle schrie nach Schnaps, und an sechs Abenden in der Woche war er so sturzbetrunken, daß Sam Lent ihn mit seiner Droschke nach Hause bringen mußte.
    Zu diesem Zeitpunkt sprang der verzweifelten Eleanor zum erstenmal eine Anzeige im Sears-Roebuck-Katalog ins Auge. SEARS’-WHITE-STAR-ALKOHOLENTZIEHUNGSKUR pries die Anzeige in großen Blockbuchstaben an, und darunter: Hausfrauen, seid ihr es leid, die Nacht allein in einem leeren Haus zu verbringen, während euer Gatte seinen Magen ruiniert und gutes Geld in der Kneipe zum Fenster hinauswirft? Versucht es mit Sears’-White-Star-Alkoholentziehungskur – nur 5 Tropfen abends in den Kaffee, und die Herumtreiberei eures Mannes hat ein Ende. Plötzlich schlief Will jeden Abend nach dem Reis surprise, den Granose-Biskuits und Litschifrüchten in seinem Sessel ein. Zehn, zwölf, manchmal vierzehn Stunden später erwachte er in seinem Bett, die scharfen Kanten seines Verstandes glatt abgeschliffen.
    Damals arbeitete er für seinen Vater, führte die Bücher der Fabrik in der Water Street und lernte offensichtlich genug vom Geschäft, um es eines Tages übernehmen zu können, aber jetzt war er so benebelt, daß er selten vor zehn im Büro war. Eigentlich hätte ihn die Reaktion seines Vaters mißtrauisch stimmen müssen – normalerweise machte ihm der alte Mann schwerste Vorwürfe, wenn er nicht mindestens eine Viertelstunde zu früh erschien (»Man muß den Männern als gutes Beispiel vorangehen, Will«), und jetzt sagte er nicht ein Wort. Wenn Will morgens aufwachte, so benommen, daß er kaum mehr seinen eigenen Namen wußte, hatte ihm Eleanor schon ein herzhaftes Frühstück hergerichtet – so herzhaft, wie es die Kelloggschen Diätvorschriften nur erlaubten, und er aß es auf, aß es wirklich auf, noch bevor er richtig wach war. Und dann war er plötzlich angezogen und im Büro, und bevor er sich’s versah, war es sechs Uhr abends, und er ging wieder nach Hause, genehmigte sich einen kleinen Schluck Old Crow, setzte sich hin zu Linsen-Tomatensuppe und gegrillten Auberginen mit Sojasoße, und dann saß er im Sessel mit einer Tasse Kaffee und döste ein.
    Es dauerte drei Monate, bis er der List auf die Spur kam, und dann auch nur, weil er zufällig an einem trostlosen, verregneten Nachmittag den Sears-Katalog durchblätterte, während seine Frau im Nebenzimmer eine Versammlung des Vereins Peterskiller Frauen für eine biologische Lebensweise abhielt. Die Anzeige stimmte ihn nachdenklich. Während Eleanor ihren schnatternden, reformfreudigen Freundinnen, unter ihnen Amelia Hookstratten, die Vorteile sauberer Nahrungsmittel und einer einfachen Lebensweise predigte, setzte sie ihren eigenen Mann unter Drogen. Es stellte sich heraus, daß Sears’-White-Star-Alkoholentziehungskur – sechs Flaschen davon entdeckte er an diesem Nachmittag ganz hinten in einer Küchenschublade – nichts anderes war als eine Opiumtinktur.
    Nun, er war entsetzt. Entsetzt und enttäuscht. Seine eigene Frau, sein eigener Vater. Während er in der Küche stand und auf Eleanors kecke Töne horchte, als sie über den trägen Dickdarm und die Schädlichkeit von gepökeltem Schweinefleisch und geräucherten Heringen sprach, spürte er, wie ihn Wut beschlich, und beinahe – beinahe, nur beinahe – hätte er auf der Stelle die kleinen, lichtundurchlässigen milchkaffeefarbenen Flaschen zerschlagen. Statt dessen stellte er sie zurück und wartete auf das Essen und den abendlichen Kaffee.
    Am selben Abend im Salon – ein Feuer prasselte im Kamin, Dick, der Drahthaarterrier, lag ausgestreckt neben ihm – riß sich Will Lightbody zusammen und rührte seinen Kaffee nicht an. Es war keine leichte Sache, weil er sich mittlerweile an die fünf abendlichen Tropfen Sears’-White-Star-Alkoholentziehungskur gewöhnt hatte, und er mußte gegen den Anblick und das Aroma des Kaffees

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