Willkommen in Wellville
– vielleicht sollten sie dort eine Getreideflockenfabrik gründen. In Buffalo gab es eine, oder? Er wollte gerade auf ihre Gesundheit anstoßen – die letzten Tropfen seines Champagners gegen ihr schlichtes, enthaltsames Wasser-, als sich der Kellner erneut näherte, das Tablett geschickt auf einer Schulter balancierend, und Charlies erstes Fleischgericht servierte, als wäre es ein Geschenk des Sultans von Marokko: Porterhousesteak, halb durch und in einem See seines eigenen nahrhaften, blutigen Saftes schwimmend.
3.
SEARS’-WHITE-STAR-ALKOHOLENTZIEHUNGSKUR
Spät in dieser Nacht, lange nachdem die letzten Teller gewaschen und die Herde erkaltet waren, lange nachdem sich der Salonwagen geleert hatte und der letzte erschöpfte Schaffner in den Schlaf des Vergessens gesunken war, lag Will Lightbody in seinem dunklen Abteil auf dem Bett und sah zu, wie die Stoppelfelder des östlichen Ohios am Fenster vorbeizogen. Eleanor hatte darauf bestanden, ein separates, wenn auch angrenzendes Abteil zu belegen. Zu Hause schliefen sie noch gemeinsam in einem Bett, in einem uralten Himmelbett, das Wills Urgroßmutter aus Bournemouth mitgebracht hatte, eine dunkle Festung von einem Bett, in dem sechs Personen nebeneinander schlafen konnten und immer noch Platz blieb für ein, zwei Hunde. Aber seitdem Eleanor das Baby verloren und sein Magen Konkurs angemeldet hatte, gab es keinen nennenswerten körperlichen Kontakt mehr zwischen ihnen. Zuerst hatte er protestiert, aber sie hatte sich auf ihren angegriffenen Zustand berufen – und auf seinen. Außerdem, hatte sie hinzugefügt, wenn wir erst mal im San sind, werden wir für diese Art von Beschäftigung keine Zeit mehr haben – und auch keinen Grund. Dr. Kellogg, so schien es, hielt auch nichts von Sex.
Will schloß die Augen. Er hatte gehofft, daß ihn das sanfte Schaukeln des Zuges einschläfern würde, wie ein Kind, das in seiner Wiege geschaukelt wird, aber es war zwecklos. Seit Stunden lag er jetzt wach, war so erschöpft, daß selbst das Einschlafen als eine zu große Anstrengung erschien. Es lag an seinem Magen, natürlich. Der Schmerz war stark und rotglühend, schraffierte die Ränder seiner Schlaflosigkeit mit einem heißen Pinsel. Und an der Wurzel, irgendwo tief unten, da lag der Toast. Harmlos, trocken, zweimal getoastet und fade. Aber da war er, versengte seine Eingeweide, bis er glaubte, einen Humpen Säure hinuntergestürzt zu haben, stieg auf in seine Kehle und entzündete seine Mandeln, nur um dann wieder hinabzufahren und auch noch sein anderes Ende zu attackieren. Kein Wunder, daß Eleanor nicht mehr mit ihm schlafen wollte, die Luft erfüllt mit pestilenzialischen Gerüchen, sein Körper von Konvulsionen gebeutelt, die Laken verdreht zur Schlinge eines Henkers … Herr im Himmel, was würde er nicht für eine paar Minuten Frieden geben …
Schlafen – nur eine Stunde lang. Und etwas essen, irgend etwas, und es ordnungsgemäß verdauen, ruhig, anständig, unbewußt; statt dessen malträtierte alles, was er zu sich nahm, seine Eingeweide mit peristaltischem Rumoren und einer ständigen Produktion von Gasen. Er hatte die Austern angeschaut, die Charlie Ossining verzehrt hatte, den Eintopf und das Steak, und er hatte gespürt, wie sich seine Kiefer zusammenpreßten und die Säfte zu fließen begannen – was würde er nicht dafür geben, sich zu so einer Mahlzeit hinsetzen zu können. Aber nein, Toast mußte es sein, und sogar der war Gift. Dr. Brillinger, der Arzt seiner Mutter und ein Mann, der in Peterskill so respektiert wurde wie Chauncey Depew persönlich, hatte zu ihm gesagt, daß es sich lediglich um einen verdorbenen Magen – eine Magenverstimmung – handele, und Brechwurz, Hostetters Bewährten Magenbitter, Warners Allheilmittel und Rizinusöl verschrieben. Wie ein Idiot hatte er alles genommen, hatte sich nach jeder Essiggurke und jedem Stückchen Wurst mit Magenmitteln zugeschüttet, bis er nichts mehr schmeckte außer dem Alkohol, in dem das ganze Zeug aufgelöst war. Bevor er sich’s versah, war es der Alkohol, den er brauchte, und für eine ganze Weile – während Eleanors erstem Aufenthalt im San – verbrachte er mehr und mehr Zeit im Mapes’ oder in Ben’s Elbow, trank Bier zum Whiskey und aß gelegentlich ein Solei, um die Hungerschmerzen zu lindern. Das war der Anfang vom Ende.
Als Eleanor nach Hause kam, zehn Pfund schwerer und erfüllt von einer neuen Religion des Vegetarismus und der »wissenschaftlicher Ernährung«, fand sie
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