Willkommen in Wellville
ankämpfen, als wäre es ein giftiges Teufelsgebräu. Aber er widerstand, und als Eleanor eine halbe Stunde später mit ihrer Handarbeit ins Zimmer schwebte, bemerkte er, daß sie stutzte, weil sie ihn wach und ins Feuer starrend dasitzen sah.
»Aber Will«, sagte sie, »willst du deinen Kaffee nicht trinken?«
Das war die Frau, die er liebte, die Frau, die er in dem Monat geheiratet hatte, als er sein Studium an der Columbia-Universität abgeschlossen hatte, die Frau, deren Blicke und Bewegungen ihn auf eine Weise erregten, die er nicht beschreiben konnte (aber er hatte es versucht, wieder und wieder, bei seinen Klassenkameraden, dem netten Barnard-Mädchen, das er ab und zu ins Theater oder Konzert einlud, den Nutten und jungen Arbeiterinnen, die er in den illegalen Spelunken und vor den Varietétheatern traf). Das war die Frau, und sie hatte versucht, ihn zu vergiften.
»Nein«, sagte er und stand auf. Zum erstenmal seit Monaten hatte er einen klaren Kopf. Er wußte, wer er war, wo er war, was er tat und warum. »Ich gehe zu Mapes’«, sagte er ruhig, »esse ein Steak und trinke ein Glas Whiskey. Nein, fünf Gläser Whiskey – eins für jeden Tropfen Sears’-White-Star-Alkoholentziehungskur.«
Dann kamen die Tränen. Und mit den Tränen die Vorwürfe. Nie zuvor hatte er sie so aufgelöst gesehen – sogar Dick, der verwirrt mit den Hinterläufen kratzte und einen traurigen Blick über die Schulter warf, mußte den Raum verlassen. »Ich wollte dir keinen Schaden zufügen«, schluchzte sie, »aber ich war mit meinem Latein am Ende, und, und du warst so verändert – du warst wie ein Fremder, ein Alkoholiker, ein heruntergekommener Alkoholiker in unserem eigenen Haus.« Sie straffte die Schultern und sah ihm in die Augen. »Es widersprach all meinen Prinzipien«, sagte sie und beruhigte sich ein bißchen, »und du weißt ja, ich halte nichts von Drogen oder unnatürlichen Substanzen – Dr. Kellogg würde alle Arzneimittel dieses Landes aus dem Fenster werfen, und ich glaube fest, daß er recht hat, aber –«
Aber sie hatte ihn unter Drogen gesetzt. Zu seinem eigenen Besten. Und, wie sich herausstellte, mit Wissen seiner Eltern, der Köchin und Dr. Brillingers. Ihre Versöhnung fiel höchst erfreulich und turbulent aus. Sie war drei Monate in Battle Creek gewesen, und er war die drei folgenden Monate in alkoholische und narkotische Nebel abgetaucht, und in dieser Nacht kamen sie zusammen auf eine Art, die er, wenn er daran dachte, gern als hungrig bezeichnete – und noch immer war er zutiefst davon überzeugt, daß sie in dieser Nacht schwanger geworden war.
Schön und gut. Aber es war ein kleines Problem übriggeblieben: Er hatte die sechs kleinen Flaschen Sears’-White-Star-Alkoholentziehungskur verzweifelt nötig. Nein: »verzweifelt« war ein zu schwaches Wort – er war geknechtet, besessen, wahnsinnig von dem Bedürfnis und dem Verlangen danach. Und als er, geradewegs aus ihren Armen kommend, auf die Küchenschublade zusteuerte, waren sie, natürlich, verschwunden, alle sechs Flaschen. In dieser Nacht begannen seine Fieberanfälle. Seine Haut blähte sich, bis er ganze Armeen darunter marschieren spürte, dann zog sie sich wieder zusammen, bis er glaubte, sie würde ihn ersticken; sein Magen schrumpfte auf die Größe einer Walnuß und sprang dann in seiner Kehle auf wie ein Regenschirm; seine Füße wurden zu Eisblöcken, seine Hände zu Brennscheren. In der mitternächtlichen Küche fiel er zu Boden, kroch auf Händen und Knien, kotzend und würgend, durchs Eßzimmer in den Salon, wo er Dick aufschreckte, den Kohlenkasten umstieß und seine Arme so lange kratzte, bis sie bluteten wie ein in Metzgerpapier eingewickelter Braten.
Am nächsten Morgen stand auf dem Tisch neben seinem Bett (in dem er sich irgendwie wiederfand) eine kleine, lichtundurchlässige blaue Flasche mit einem wunderschönen blauen Etikett, auf der der einzigartige, allumfassende, ausgesprochen formschöne, erlösende, rettende weiße Stern von Sears prangte. Er hielt nicht inne, um nachzudenken: braune Flasche, blaue Flasche – war das nicht ein und dasselbe? Er zog augenblicklich den Korken heraus und führte die Flasche an den Mund … aber was war das? Es schmeckte … irgendwie anders. Anders, aber nicht schlecht. Überhaupt nicht schlecht. Er stürzte die halbe Flasche hinunter, bevor er sich das Etikett genauer ansah: SEARS’-WHITE-STAR-RAUSCHMITTELENTZIEHUNGSKUR stand darauf. Und darunter, schön gedruckt:
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