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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Hausfrauen, seid ihr es leid, jede Nacht so gut wie allein zu verbringen, weil euer Gatte seinen Magen ruiniert und in einem rauschmittelbedingten Stupor gutes Geld zu eurem eigenen Wohnzimmerfenster hinauswirft? Versucht es mit Sears’-White-Star-Rauschmittelentziehungskur – nur 5 Tropfen abends in den Kaffee eures dösenden Mannes, und er wird so wach und so flink sein wie ein Eichhörnchen. Die Ironie entging ihm nicht. Aber es war ihm alles egal. Sein Magen war kaputt, sein Leben ein Scherbenhaufen, er hatte Gelüste, die er nicht kontrollieren konnte, und eine Frau, die sich täglich weiter von ihm entfernte. In Ordnung, dachte er, in Ordnung, und er spürte, wie die Rauschmittelentziehungskur in seinen Adern zu wirken begann, und trank die Flasche aus.
    Später am Tag ließ er den Drogisten die zweite Flasche – er wußte, daß es eine zweite gab, eine dritte und eine vierte, ad infinitum –, die er in einer Schublade des Toilettentisches seiner Frau fand, analysieren. Die Rauschmittelentziehungskur enthielt achtundvierzig Prozent Alkohol und damit zwei Prozent weniger als Old Crow. Er kehrte zu Old Crow zurück, der letztlich verläßlicher war und nach Gewicht gerechnet nur ein Zehntel soviel kostete. Dennoch wirkten sich diese Ereignisse nachhaltig auf ihn aus, und dank Eleanors Schwangerschaft gewann sein Leben neue Bedeutung. Er begeisterte sich wieder für seine Arbeit, er verbrachte weniger Zeit bei Mapes’ und in Ben’s Elbow, und nach einer Weile trank er zunehmend weniger Old Crow und tat sein Bestes, um sich wissenschaftlich zu ernähren. Und er hätte es womöglich auch geschafft, wenn sein Magen nicht den Dienst versagt hätte.
    Es war an einem Nachmittag im späten Frühling, es war noch frisch, aber die Wärme, die kommen sollte, deutete sich bereits an. Er verließ früh das Fabrikgelände, schaute bei Offenbacher’s vorbei, um eine Flasche Coca-Cola, zwei Päckchen Wrigley’s Kaugummi und Eleanors Lieblingsgetränk – Ginger-ale in der großen grünen Flasche – mitzunehmen, und eilte nach Hause, um sie zu überraschen. Er ging die Division Street entlang, das Paket fest im Arm, und bog in die Privatstraße ein, die zu dem großen, dreistöckigen Haus aus roten Ziegeln führte, das sein Vater für sie gebaut hatte. Der Hartriegel blühte rosa und weiß, die Luft duftete. In diesem Augenblick fühlte er, daß mit der Welt alles in Ordnung war und mit Eleanor und ihm und mit seinem Sohn, dem zukünftigen Erben. Als er die Treppe hinauflief, sah er das Haus in einem neuen Licht, so wie es vielleicht ein Kind sah, ein kleiner Junge in einem Buster-Brown-Anzug, den sein Vater zum Entenfüttern in den Park mitnahm und in den Bahnhof, um ihm zu zeigen, wie die Züge donnernd einfuhren. »Eleanor?« rief er. »Elea-nor!«
    Er fand sie im Schlafzimmer, beim Packen, das Mädchen – eine verkniffene Achtzehnjährige von der Lebhaftigkeit eines Felsblocks – half ihr. »Was hast du vor?« wollte er wissen. »Eine Reise? In deinem Zustand?«
    So war es. Und daran war nicht zu rütteln. Sie fuhr wieder nach Battle Creek, ins Sanatorium, und sie würde dort bleiben, bis das Kind geboren wäre.
    »Aber warum?« brach es aus ihm heraus, und in diesem Augenblick spürte er das erste heiße Anzeichen wie ein Schwert, das sich in sein Innerstes bohrte und dort brannte und brannte. »Warum nicht hier? Wir haben ein neues Krankenhaus und … und die besten–«
    »Hygiene«, sagte sie. »Wissenschaftliche Ernährung, biologische Lebensweise – dort herrscht eine vollkommen andere Atmosphäre. Du kannst das nicht wissen. Du würdest es nicht glauben. Ich will das Beste für mein Baby – für unser Baby. Du etwa nicht?«
    Doch. Natürlich, das wollte auch er.
    Am nächsten Tag war sie weg. Und sein Magen auch. Es traf ihn mit aller Macht, als er sich von ihr in der Grand Central Station verabschiedete, es war ein so gemeiner, so unerträglicher, so allumfassender Schmerz, daß er in die Knie ging. Wie er es bis zur Hudson Line und anschließend bis nach Hause schaffte, würde er nie erfahren; die ganze nächste Woche lag er im Bett, und nichts, weder Dr. Brillinger noch ein Hamburger aus dem Mapes’, noch Old Crow oder eine der Sears’-White-Star-Kuren konnte ihm helfen.
    Er schrieb ihr jeden Tag. Und sie schrieb zurück, lange, begeisterte Briefe voller Ausdrücke wie »Autointoxikation«, »dextrinisierte Stärke« und »sinusförmiger Fluß«. Vier Monate schleppten sich dahin, und er war nahezu

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