Wilsberg 03 - Gottesgemuese
nächsten Tankstelle.«
»Und wie willst du das Hotel bezahlen?«
»Wir sind ein seriöses Ehepaar, das die Rechnung erst bei der Abreise bezahlt. Bis dahin ist mir vielleicht etwas eingefallen.«
Sigi lachte. »Wir können ja heimlich abhauen.«
»Und per Anhalter nach Heathrow fahren«, ergänzte ich.
Die nächste Tankstelle nahm auch kein deutsches Geld, und damit war unser Plan schon geplatzt.
Ich verfluchte mich und den englischen Nationalismus, wusste auf einmal, warum sich die Engländer so vehement gegen eine gemeinsame europäische Währung wehrten, aber tatsächlich waren wir genauso am Ende wie das Benzin.
Mithilfe der Straßenkarte, die die fürsorgliche Autovermietung ins Handschuhfach gelegt hatte, lokalisierte ich unsere Position in der unendlichen Weite der englischen Landschaft.
»Wir fahren in die nächste Stadt und suchen uns eine kleine Pension«, entschied ich. »Wenn mich nicht alles täuscht, müssen wir in der Nähe von Haslemere sein.«
»Und dann?«, fragte Sigi.
»Dann sehen wir weiter.«
Haslemere ist ein trostloses Kaff mit ein bisschen Industrie und My-home-is-my-castle-Reihenhäusern. Wir fanden ein kleines Hotel, das seine guten Tage irgendwann in den Zwanzigern gesehen hatte, und wurden von einer Frau in Empfang genommen, die zu ebenjener Zeit das Licht der Welt erblickt hatte. Sie beäugte uns misstrauisch, als ich beteuerte, dass wir verheiratet seien, händigte uns dann aber umstandslos den Zimmerschlüssel aus.
Das Zimmer roch nach feuchter Wäsche, was wohl daran lag, dass hier seit Wochen nicht mehr geheizt worden war. Ich untersuchte die Gasheizung unter dem Fenster und entdeckte, dass es sich um einen Geldautomaten handelte. Zehn Minuten Wärme gegen eine Münze.
»Lass uns gehen!«, sagte ich zu Sigi. »Ich habe einen Plan.«
»Wird aber auch Zeit«, sagte sie mit der Stimme einer Frau, die sich ihr Leben anders vorgestellt hatte.
Unten schwatzte ich der alten Frau zehn Pfund gegen dreißig Mark ab, verbunden mit dem Versprechen, sie am nächsten Morgen sofort wieder zurückzutauschen, sobald ich bei der Bank gewesen sei. Sie nahm die deutschen Scheine und warf sie mit einem angeekelten Gesichtsausdruck in eine Schublade.
»Und nun zur Post!«, sagte ich.
Sigi trottete verdrossen neben mir her. Ich schlug den Kragen meines Trenchcoats hoch und zog den Hut tiefer ins Gesicht. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, und so sahen wir kaum etwas von den sicher vorhandenen Sehenswürdigkeiten Haslemeres.
Die Post hatte, ganz gegen meine Befürchtung, noch geöffnet, und ich meldete ein R-Gespräch nach Münster an.
Als es nach fünf Minuten zustande kam, sagte ich: »Hallo, Thomas! Du musst mir einen Gefallen tun!« Ich schilderte ihm kurz unsere missliche Lage und bat ihn, mir telegrafisch Geld anzuweisen, so viel und so schnell wie möglich.
Ein Freund zeigt sich daran, dass er in entscheidenden Momenten nicht Nein sagt. Thomas sagte Ja. Ich dankte ihm und hängte ein. Dann atmete ich auf.
Mit wiedererwachter Lebensfreude lud ich Sigi in eine Fish-and-Chips-Bude ein. Für ein vornehmeres Abendessen reichte die schmale Barkasse nicht.
Der Fisch schmeckte so ölig wie auf dem münsterschen Wochenmarkt, und die Chips ähnelten weich gekochten Dichtungsringen.
»So habe ich mir das nicht gedacht«, maulte Sigi.
»Viele machen sich völlig falsche Vorstellungen vom Leben eines Privatdetektivs«, sagte ich, während ich ein Rülpsen unterdrückte. »Er ist bei seinen Recherchen mancherlei Entbehrungen ausgesetzt. Außerdem lohnt es sich, in fremden Ländern die Essgewohnheiten der einfachen Leute kennenzulernen.«
Sigi sah mich an, als wolle sie mir zwei Chips in die Nasenlöcher stecken und den Mund zuhalten.
Anschließend gingen wir in eine Kneipe, die von Seemannsnetzen über schmuddelige Tischdecken bis zum Dartspiel an der Wand alles enthielt, was einen englischen Pub ausmacht. Wir tranken jeder zwei fade englische Biere, da ich noch ein paar Münzen für den Gasautomaten sparen wollte, und hörten der männlichen Stadtjugend bei ihren Gesprächen zu, die überwiegend aus den beiden Vokabeln »bloody« und »fucking« bestanden.
Als wir uns stark genug für das Hotelzimmer fühlten, machten wir uns auf den Heimweg.
Ich fütterte die Gasheizung, und mit einem bedrohlichen Brummen nahm sie ihre Arbeit auf. Dann duschten wir beide so heiß wie möglich und kuschelten uns im Bett unter allen vorhandenen Decken zusammen. Inzwischen glich das Zimmer nicht
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